Leser­mail zum Arti­kel „Lust­heim als Fahrradzone“

Dieser Beitrag bezieht sich auf den Artikel "Lustheim als Fahrradzone".

Sehr geehr­ter Herr Katz,

es wäre ehrli­cher, wenn Sie schrei­ben würden, das Fahr­rad­kon­zept wurde von einem Fahr­rad­lob­by­is­ten ausge­ar­bei­tet. Auch bei der von Ihnen im Leser­mail vom 10. April 2022 verlink­ten PDF-Datei werden ausschließ­lich die Inter­es­sen der Fahr­rad­fah­rer betrach­tet. Weder werden dort die Inter­es­sen der Fußgän­ger oder Auto­fah­rer über­haupt berück­sich­tigt, noch findet eine wert­neu­trale Abwä­gung statt.

Soweit nicht anders ange­ge­ben, beru­hen alle nach­fol­gen­den Maßan­ga­ben auf den „Empfeh­lun­gen für Radver­kehrs­an­la­gen“, abge­kürzt ERA. Die neueste Ausgabe stammt aus dem Jahr 2010.

In diesen Richt­li­nien gibt es zwei Fach­be­griffe, die kurz erklärt werden sollen:

Verkehrs­raum: Hier handelt es sich um den Platz­be­darf, den ein Fußgän­ger, Radfah­rer und Auto­fah­rer benötigt. 

Sicher­heits­raum: Hier handelt es sich um den Mindest­ab­stand (Sicher­heits­ab­stand), damit sich Fußgän­ger, Radfah­rer und Autos begeg­nen können, ohne sich gegen­sei­tig zu gefähr­den. Dieser Sicher­heits­raum muss aller­dings auch gegen­über Haus­mau­ern, Zäunen, parken­den Autos und ande­ren Objek­ten berück­sich­tigt werden.

Für die Mindest­breite von Fußwe­gen, die ausschließ­lich Fußgän­ger vorbe­hal­ten sind, empfiehlt die Forschungs­ge­sell­schaft für Stra­ßen- und Verkehrs­we­sen (FGSV) 2,5 Meter. Andere Quel­len geben Mindest­maße von 1,5 bis 1,8 Meter an.

Berück­sich­tigt werden muss im Zusam­men­hang mit den ERA auch das Urteil des Verwal­tungs­ge­richts Hanno­ver, 7. Kammer, vom 13.08.2021 (Akten­zei­chen 7 A 5667/19) zu einer Fahr­rad­straße in Braun­schweig. Dieses Urteil wäre insbe­son­dere für die Park­platz­si­tua­tion in Lust­heim, aber auch für die Feier­abend­straße von großer Bedeutung. 

Kurz­fas­sung: Wo eine Fahr­rad­straße ausge­wie­sen wurde, muss auch eine den Anfor­de­run­gen entspre­chende Fahr­rad­straße bzw. Fahr­rad­zone vorhan­den sein. Das Urteil betrifft insbe­son­dere die Park­plätze in einer Fahrradstraße.

Eben­falls bedacht werden muss, dass es zwei Arten von Fahr­rad­fah­rern gibt: Lang­sam­rad­ler, die so mit ca. 10 bis 15 km/h fahren, und Schnell­rad­ler, die mit 20 bis 30 km/h und ggf. noch schnel­ler unter­wegs sind. Ein Fußgän­ger bewegt sich etwa mit 5 km/h. 

In einer Fahr­rad­straße und folg­lich auch einer Fahr­rad­zone dürfen Fahr­rad­fah­rer neben­ein­an­der fahren und müssen sich auch in dieser Konstel­la­tio­nen begeg­nen können. Dies betrifft auch den Über­hol­vor­gang, also wenn ein Schnell­rad­ler einen Lang­sam­rad­ler überholt. 

Ein norma­les Fahr­rad benö­tigt einen Verkehrs­raum von 1 Meter. Zwei Fahr­rad­fah­rer in der einen und zwei in der Gegen­rich­tung benö­ti­gen also 4 Meter. Nun gibt es aber zuneh­mend Lasten­fahr­rä­der und Fahr­rä­der mit (Kinder-)Anhänger. Hier ist ein Verkehrs­raum von 1,3 Meter anzusetzen. 

Um ein gefahr­lo­ses Neben­ein­an­der­fah­ren oder einen Über­hol­vor­gang zu ermög­li­chen, steigt damit der Platz­be­darf je Fahrt­rich­tung auf 2,3 Meter. Die Gesamt­breite einer Fahr­rad­straße muss folg­lich mindes­tens 4,6 Meter betra­gen. Autos gibt es hier weder parkend noch fahrend und den Fußgän­gern stehen beid­sei­tig ausrei­chend breite Fußwege zur Verfügung.

Ist eine Fahr­rad­straße auch für Autos frei­ge­ge­ben und dürfen dort auch noch Autos parken, so muss zwischen einsei­tig parken­den Autos und Fahr­rad­fah­rern eine Sicher­heits­strei­fen von 0,75 Metern vorhan­den sein. Ein durch­schnitt­li­ches, parken­des Auto benö­tigt 2,2 Meter, Lkw sogar 2,65 Meter. Die Mindest­breite der Fahr­rad­straße erhöht sich, wenn parkende Pkw erlaubt sind, auf 7,55 Meter.

Ist dies nicht gege­ben, darf das Parken nicht erlaubt werden. Auch hier wieder die Voraus­set­zung, dass für Fußgän­ger ausrei­chend breite Fußwege vorhan­den sind.

Kriti­scher ist die Situa­tion, wenn Fahr­rad­stra­ßen auch für Autos in beiden Fahrt­rich­tun­gen frei­ge­ge­ben sind. Der durch die Stra­ßen­ver­kehrs­ord­nung zwin­gend vorge­schrie­bene Sicher­heits­ab­stand zwischen fahren­dem Auto und Fahr­rad­fah­rern beträgt mindes­tens 1,5 Meter. 

In den allge­mein verfüg­ba­ren Unter­la­gen wird bislang eine Mindest­breite von 5 Meter ange­ge­ben. Die genaue Nach­schau zeigt jedoch, dass diese Anga­ben aus der Zeit vor Inkraft­tre­ten der Abstand­re­gel von 1,5 Metern stammen. 

Unter Berück­sich­ti­gung dieser Abstand­re­gel ergibt sich eine Mindest­breite von 6,1 Meter je Fahr­rich­tung. Jetzt kann man weder von Fahr­rad­fah­rern noch von Auto­fah­rern verlan­gen, dass sie zur Einhal­tung des Mindest­ab­stands andau­ernd Slalom fahren. Somit wäre, wenn Autos in beiden Rich­tun­gen erlaubt sind, eigent­lich eine Mindest­breite von 12,2 Metern nötig. 

In dieser Konstel­la­tion macht eine Fahr­rad­straße jedoch keinen Sinn mehr, viel­mehr sind getrennte Fahr­bah­nen für Autos und Fahr­rä­der die bessere Wahl. Auch hier wieder die Annahme, dass für Fußgän­ger ausrei­chend breite Fußwege zur Verfü­gung stehen.

Sind nun in einer Fahr­rad­straße bzw. Fahr­rad­zone keine Fußwege vorhan­den, so greift § 25, Absatz 1, der Stra­ßen­ver­kehrs­ord­nung: Fußgän­ger müssen am äußers­ten rech­ten und linken Fahr­bahn­rand gehen. Sie dürfen nicht neben­ein­an­der, sondern nur hinter­ein­an­der, also im soge­nann­ten Gänse­marsch gehen.

Leider habe ich keine verläss­li­chen Anga­ben gefun­den, welchen Sicher­heits­ab­stand Radfah­rer zu Fußgän­gern einhal­ten müssen. Nach meinen eige­nen Erfah­run­gen in der Innen­stadt von München (z. B. Falken­turm­straße) betrach­ten Fahr­rad­fah­rer 5 bis 10 cm als ausrei­chend. Dem Fußgän­ger hilft da oft nur ein schnel­ler Schritt zur Seite, sofern dort Platz ist.

Über­tra­gen auf die Situa­tion in der südli­chen Effner­straße oder Lust­heim, so ist dort für Fußgän­ger schlicht und einfach kein Platz vorhanden.

Die Proble­ma­tik, die sich in der Effner­straße bei Veran­stal­tun­gen im Schloss- und Muse­ums­be­reich ergibt, habe ich ja bereits beschrieben. 

Wie anhand der vorste­hen­den Beschrei­bun­gen deut­lich wird, es ist nicht einfach, aus bestehen­den Stra­ßen Fahr­rad­stra­ßen oder Fahr­rad­zo­nen zu machen, die ein gefahr­lo­ses und konflikt­freies Mitein­an­der von Radfah­rern, Autos und Fußgän­gern ermöglichen.

Der Fahr­rad­lob­by­ist kommt hier natür­lich sofort mit dem erho­be­nen Zeige­fin­ger und sagt, dass dies alles nur unver­bind­li­che Empfeh­lun­gen sind und Fahr­rad­stra­ßen und Fahr­rad­zo­nen auch einge­rich­tet werden können, wenn diese Voraus­set­zun­gen nicht gege­ben sind. 

Dies ist so auch korrekt. Letzt­lich ist auch klar, dass ein Fahr­rad­lob­by­ist das Maxi­mum für seine Klien­tel durch­set­zen will, ob dies für Auto­fah­rer oder Fußgän­ger zum Nach­teil ist, inter­es­siert da nicht weiter.

Werden die vorge­stell­ten Regeln miss­ach­tet, so führt dies zu Konflik­ten zwischen Fußgän­gern, Radfah­rern und Auto­fah­rern, im schlimms­ten Fall zu eigent­lich vermeid­ba­ren Unfäl­len mit Personenschaden.

Viel­leicht wäre es an der Zeit, auch einen Fußgän­ger­be­auf­trag­ten zu ernen­nen, damit deren Inter­es­sen nicht „unter die Räder“ kommen.

Günter Braun

2 Kommentare

  1. Im Radwe­ge­kon­zept steht wörtlich:

    “Ziel ist eine Part­ner­schaft zwischen Auto­fah­rern, Radfah­rern und Fußgän­gern – mitein­an­der statt gegen­ein­an­der. Nicht ziel­füh­rend ist ein isolier­tes Konzept für Fahr­rad­fah­rer, vielmehr
    sollen die Belange aller Verkehrs­teil­neh­mer berück­sich­tigt werden. Dabei ist es durch­aus sinn­voll, sich am Schutz des bedürf­tigs­ten Mitglieds der Verkehrs­teil­neh­mer zu orien­tie­ren, dem Fuß-
    gänger.”

    In Lust­heim geht es primär darum, den Auto­ver­kehr zu beru­hi­gen. Eine Fußgän­ger­zone erfor­dert leider wesent­lich mehr bauli­che Maßnah­men. Tempo 20 alleine bringt wenig Effekt. Daher kam der Vorschlag, mit einer Fahr­rad­zone (wohl­ge­merkt keiner Fahr­rad­straße!) einen Effekt in dieser Rich­tung zu erreichen.

    Ein Lobby­ist ist übri­gens ein Indus­trie­ver­tre­ter, der nicht Mitglied des Parla­ments ist. Das Radwe­ge­kon­zept wurde von einem Arbeits­kreis aus Gemein­de­rä­ten und inter­es­sier­ten Bürgern und einem Verkehrs­pla­ner erar­bei­tet. Mitbür­ger, die sich ehren­amt­lich für die Entwick­lung der Gemeinde enga­gie­ren, als “Lobby­is­ten” zu beschimp­fen, empfinde ich zumin­dest als selt­sam. Herr Braun darf sich gerne bei mir melden, wenn er im Arbeits­kreis mitar­bei­ten möchte.

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  2. Es kommen noch diese furcht­ba­ren Fußgän­ger mit Kindern an der Hand oder gar mit Kinder­wa­gen dazu! Die brau­chen gleich noch mehr Raum. Wie furcht­bar! Und an die denkt keiner. 

    Eben­so­we­nig wie an Herr­schaf­ten im Roll­stuhl oder Rolla­tor — wohin weichen die in Lust­heim aus? 

    Keiner hat ein allei­ni­ges Anrecht auf die Straße. Viel­leicht soll­ten einfach und vor allem die schnel­len Radler dies mal beden­ken. Radrenn­stre­cken gibt es genug, aber nicht in Ortschaf­ten. Hier haben alle ein Anrecht auf Sicher­heit. Rück­sicht­nahme ist wohl das, was uns allen weiterhilft.

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