Leser­mail zum Artikel “Kein pauschales Tempo­limit”

Dieser Beitrag bezieht sich auf den Artikel "Kein pauschales Tempolimit".

Halb­gares von einem Liberaren

Jetzt hat es uns einer von der FDP aber mal ganz deut­lich gesagt: Sich für ein Tempo­limit auf Auto­bahnen einzu­setzen, ist auf den zweiten Blick „…ein typi­sches Beispiel für Symbol­po­litik mit geringem Effekt.“ Und weil „man“ die große Frage Tempo­limit nicht lösen kann, beschäf­tigt „man“ sich lieber mit den unwich­tigen kleinen.

Wer gehört zu „man“? Sicher nicht Herr Katz mit seiner Fähig­keit zur klaren Bewer­tung der Wich­tig­keit und Effi­zienz von Maßnahmen.

Herr Katz bestä­tigt, dass am meisten CO2 gespart wird bei freier Strecke mit einer mäßigen Geschwin­dig­keit; die größte Leis­tungs­fä­hig­keit einer Straße ergibt sich dabei bei einer Geschwin­dig­keit von unter 80 km/h.

Alles sehr inter­es­sante Fakten, dummer­weise stehen diese dem Inter­esse entgegen, möglichst schnell sein Ziel errei­chen zu wollen.

Soweit kann ich den Ausfüh­rungen gerade noch folgen. Ein Problem habe ich (oder „man“) mit der Aussage: „Außer Acht bleiben also dieje­nigen, die früh­mor­gens oder spät­abends unter­wegs sind und sich durchaus freuen, wenn sie eine halbe Stunde weniger auf der Straße verbringen.“

Kann mir bitte ein Mathe­ma­tiker ausrechnen: Wie lange und um wieviel schneller als 130 muss ich fahren, um eine halbe Stunde weniger auf der Straße zu verbringen? Als Refe­renz viel­leicht einen Bugatti nehmen, der 417 km/h auf der Auto­bahn schafft? Dann muss ich nicht so lange fahren, um eine halbe Stunde schneller zu sein.

Für mich war es ein Schlüs­sel­er­lebnis, als ich vor vielen Jahren erst­mals auf der A3 die Grenze nach Holland über­querte. Nach der Grenze fuhren alle Fahr­zeuge mit der glei­chen Geschwin­dig­keit, jeder auf seinem Fahr­streifen – keiner über­holte, niemand musste den Fahr­streifen wech­seln, weil ein anderer dahinter drän­gelte. Ein Genuss, selbst als Außen­dienstler, der ich damals etwa 45.000 Kilo­meter im Jahr fuhr. Nie kam ich erholter ans Ziel.

Genau darauf kommt es doch an, auf Lebens­qua­lität – Auto­fahren mit weniger Stress. Als Neben­ef­fekt gibt es weniger gefähr­liche Situa­tionen auf der Straße, 424 Tote auf deut­schen Auto­bahnen sind 424 Tote (2018) zu viel.

Was Herr Katz nur am Rande streift, ist die CO2-Einspa­rung bei einem Tempo­limit; keine Daten dazu. Dazu muss ich beim Bundes­um­weltamt nach­lesen.

Ein gene­relles Tempo­limit auf Bundes­au­to­bahnen könnte die Treib­haus­gas­emis­sionen jähr­lich (Stand 2018) je nach Ausge­stal­tung deut­lich verrin­gern; sofort umsetzbar, ohne Mehr­kosten.
Bei Tempo 130 km/h um 1,9 Tonnen CO2 jähr­lich.
Bei Tempo 120 km/h um 2,6 Tonnen CO2 jähr­lich.
Bei Tempo 100 km/h um 5,4 Tonnen CO2 jähr­lich.

Wer das igno­riert, ist ein Igno­rant!

Wie groß ist eine Tonne Kohlen­di­oxid, hatte ich mich oft gefragt, bis ich eines Tages im Auto­radio eine Diskus­sion zu diesem Thema hörte. Da erklärte ein Fach­mann: Wenn ihr Auto 100 Gramm CO2 pro Kilo­meter ausstoßt, dann ist es so, als würden sie jeden Kilo­meter eine Tafel Scho­ko­lade aus dem Fenster werfen. Heute produ­ziert ein kleiner Mittel­klasse-PKW inner­orts immer noch ca. 120–160 Gramm CO2 pro Kilo­meter. Bei einer Auto­fahrt muss ich immer wieder an diesen Vergleich denken und über­lege mir, wie viel Scho­ko­lade ich auf dem Beifah­rer­sitz stapeln müsste für die jewei­lige Fahrt. Eine gesunde Übung.

Leider kommt aus dem Auspuff keine Scho­ko­lade. Und das wissen auch Libe­rale. Pein­lich, dass ihnen das Partei­pro­gramm etwas anderes vorschreibt.

Harald Dietl

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2 Kommentare

  1. Sehr geehrter Herr Dietl,

    die zitierte halbe Stunde bezieht sich natür­lich auf Fern­pendler. Wenn jemand in Ober­schleiß­heim wohnt, aber in Nürn­berg arbeitet, sind das 160 km Strecke. Wenn er die mit 180 km/h in den Rand­stunden fahren kann, sind das 53 min, mit 120 km/h braucht er 27 Minuten länger.

    Ich bin diese Strecke früher regel­mäßig gefahren. Mir ging es darum, auch die Bedürf­nisse dieser Personen in der Argu­men­ta­tion zu berück­sich­tigen, das ist für mich liberal, um mir meine eigene Meinung zu bilden.

    Zu dem Beispiel mit der Scho­ko­lade erlaube ich mir eine Ergän­zung: CO2 besteht aus einem Atom Kohlen­stoff mit dem Atom­ge­wicht 12 und zwei Atomen Sauer­stoff mit dem Atom­ge­wicht 16, daher macht der mitzu­füh­rende Kohlen­stoff nur 27 % des Gewichts aus. Auf Kakao, Milch und Zucker sollte man in dieser Form von Wegwerf-Scho­ko­lade dann viel­leicht verzichten.

    Das wesent­liche Ziel ist, die Verbren­nung fossiler Ener­gie­träger komplett zu beenden. Nach­hal­tig­keit defi­niert sich für mich aber darin, den opti­malen Weg dahin zu finden, und das bedeutet, bei den großen Verbrau­chern zu beginnen. Wenn wir bald mit klima­neu­tralem Strom oder Wasser­stoff fahren werden, braucht es dafür kein expli­zites Tempo­limit mehr.

    Mit freund­li­chen Grüßen
    Casimir Katz

    Antworten
  2. Sehr geehrter Herr Dietl,
    herz­li­chen Dank für Ihren Beitrag — ich finde es sehr positiv, dass bei so einem Thema die verschie­denen Stand­punkte zum Ausdruck kommen. Ich selbst habe in der Frage “Tempo­limit” momentan keine eindeu­tige Meinung. Es gibt für beide Seiten gute Argu­mente.

    Ihre Kern-Aufstel­lung muss ich aber etwas einordnen bzw. korri­gieren.

    Bei „Ihren Zahlen“ handelt es sich nicht um Tonnen, sondern um Millionen Tonnen pro Jahr für ganz Deutsch­land. Also “Tempo­limit 120 führt zu einer Einspa­rung von ca. 2,6 Mio. t CO2 je Jahr”. (https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/2020–06-15_texte_38-2020_wirkung-tempolimit_bf.pdf, Seite 27)

    Nun sind wir ca. 83 Mio. Einwohner in Deutsch­land, also betrüge die Einspa­rung durch Tempo 120 je Einwohner ca. 31 kg pro Jahr. Der Durch­schnitts­aus­stoß in Deutsch­land liegt bei 7,75 t jähr­lich je Einwohner (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/167877/umfrage/co-emissionen-nach-laendern-je-einwohner/). Die Reduk­tion des CO2-Ausstoßes durch die Maßnahme „Tempo 120“ würde somit 0,4 % betragen. Das ist nicht nichts. Man ist aber kein „Igno­rant“, wenn man diese Verbes­se­rung ins Verhältnis zu Verbes­se­rungen in den wirk­lich CO2-rele­vanten Sektoren wie z. B. Heizen in Bestands­ge­bäuden oder das Bauen gene­rell setzt und zu dem Schluss kommt, dass es sehr viel effek­ti­vere Maßnahmen braucht.

    31 kg CO2-Einspa­rung kann man z. B. auch errei­chen, wenn man 180 km Fahrrad statt Auto fährt (https://www.adfc-bw.de/radzurarbeit/einspar-rechner/, Annahme: Benzin­ver­brauch von 8l/100km).

    Johannes Kreutz
    FDP-Orts­schatz­meister

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