Die nicht mehr tragbaren Verkehrsprobleme im Ort wollte Oberschleißheim 1956 mit einer ultramodernen Lösung angehen. Die schon als „Todeskreuzung“ verschrieene Kreuzung der Dachauer- mit der Feierabend- und Sonnenstraße sollte „mit einer farbigen Ampel“ gesichert werden, forderte der Gemeinderat, mindestens aber mit einem Blinklicht. (So innovativ waren die Genehmigungsbehörden übrigens dann doch nicht; bis die Kreuzung mit einer Ampel ausgestattet wurde, dauerte es bis 1964.)
1955 wollte die Bundesbahn den Bahnübergang in der Schönleutnerstraße schließen, wogegen die Gemeinde protestierte. Wenige Jahre später plante das Straßenbauamt die Beseitigung des höhengleichen Bahnübergangs in der Dachauer Straße. 1960 wurde eine Brücke über Bahn plus Feierabendstraße zur Erschließung des Neubaugebiets Parksiedlung geplant.
1969 wurde das überregionale Genehmigungsverfahren für eine Ortsumfahrung der B471 nördlich von Oberschleißheim durchgeführt. 1972 beschloss der Gemeinderat eine Straßenüberführung der Dachauer Straße über die Bahn, 1973 hob er den Beschluss wieder auf. Die Pläne der Nordumfahrung für die B471 wurden beim Bau der Autobahn A92 wieder zurückgestellt. 1982 nahm das Bundesverkehrsministerium die Beseitigung des höhengleichen Bahnübergangs in ein Zwölf-Jahres-Programm auf.
1985 forderte eine Bürgerinitiative eine westliche Umgehungsstraße parallel zur A92, die der Gemeinderat ablehnte. 1989 wurden in einem bayernweiten Genehmigungsverfahren zusätzliche Anschlussstellen an die A92 bei Riedmoos und Feldmoching genehmigt, 1994 vom Bundesverkehrsministerium aber wieder storniert. 2002 beschloss der Gemeinderat eine westliche Umgehungsstraße parallel zur A92.
1990 wurde das Projekt „Bahn im Tunnel“ initiiert und die Gemeinde erstellte einen – nie rechtskräftig gewordenen – Bauleitplan für eine Tunnelführung der Bahn unter der Dachauer Straße. 2009 gab es ein Bürgerbegehren für eine Straßenunterführung der Dachauer Straße unter die Bahn, das im Bürgerentscheid nicht angenommen wurde.
Der – unvollständige – Rückblick auf Pläne, Planungen, Visionen, Debatten und Verfahren um Verkehrslösungen zeigt vor allem eins: Die Situation ist schwierig. Das einfach mal zu akzeptieren, wäre vielleicht eine gesunde Basis für weitere Diskussionen. Denn die Verkehrsdebatte mindestens der jüngeren Zeit leidet hauptsächlich unter dem Grundfehler, dass jeder Vorschlag die definitive Lösung verspricht.
Natürlich hätte eine Straßenunterführung der Dachauer Straße unter die Bahn positive Aspekte. Dies abzustreiten, wäre vollkommen albern. Ebenso brächte eine Umgehungsstraße der Staatsstraße 2342 entlang der Autobahn A92 Vorteile, ein Autobahnanschluss bei Riedmoos brächte Vorteile, eine Tieferlegung der Bahn brächte Vorteile.
Aber genauso brächte jedes der genannten Projekte – und alle weiteren derzeit denkbaren auch noch – genauso Nachteile mit sich! Diese Zweischneidigkeit aller Möglichkeiten liest sich wie eine Binsenweisheit, ist aber aus der Oberschleißheimer Verkehrsdebatte leider völlig verschwunden.
Das Verkehrssystem im gesamten Großraum München ist so am Anschlag, dass bei jedem Körnchen im Räderwerk der gesamte Betrieb kollabiert. Ein Blechschaden im Allacher Tunnel gebiert Staus auf der Schotterstrecke zwischen Riedmoos und Badersfeld. Und da soll es keine Auswirkungen haben, wenn mit einer Straßenunterführung in der meistbefahrenen Bundesstraße Bayerns ein bisheriges Nadelöhr geöffnet wird? Diese „Argumentation“ der Freien Wähler ist so hanebüchen, dass sie das gesamte Projekt diskreditiert.
Die zweite fundamentale Lebenslüge der Verkehrssicht von Oberschleißheim ist es, dass zuständig immer nur andere sind. Die Bahn müsste. Die Autobahn müsste. Das Straßenbauamt müsste. Unterschleißheim müsste. Alle Fürstenfeldbrucker und Dachauer und Garchinger, die immer durch den Ort fahren, müssten. BMW müsste. Aber alle „Anderen“ vom Bundesverkehrsministerium bis Unterschleißheim haben jetzt 70 Jahre lang bewiesen, dass sie nicht die Kohlen für Oberschleißheim aus dem Feuer holen – warum auch?
Die traurige Wahrheit nach 70 Jahren wachsenden Autoverkehrs ist doch wohl, dass die Situation nicht ohne Nebenwirkungen heilbar ist. Jede Verbesserung hier bedingt eine Verschlechterung da. Definitiv jede.
Die Frage bei jedem Projekt von der Umgehungsstraße über die Straßenunterführung bis zum Bahntunnel muss doch daher sein, ob die Kosten, der Aufwand, die ökologischen Schäden und die Nebenwirkungen im Verkehrsgefüge den Gewinn durch den Eingriff aufwiegen. Kann das für die Straßenunterführung gelten?
Sollten der Ort, sein Bürgermeister, sein Gemeinderat und seine politischen Parteiungen nicht endlich mal die Situation annehmen, wie sie ist, anstatt je nach Parteifarbe unterschiedlich illusorischen Allheilmitteln anzuhängen?
Wäre es völlig abwegig, endlich mal nach Verbesserungen zu suchen und umzusetzen, die man selbst in der Hand hat, anstatt nur armes Opfer der bösen Anderen zu sein? Verkehrslenkung. Hürden für den Schleichverkehr. Alternative Mobilität fördern. Und, ja: keine Baugenehmigung mehr für die Uni ohne eine akzeptable Verkehrsanbindung.
Die Situation 2019: Der Oberschleißheimer Gemeinderat wartet seit 1990 auf die Bahn im Tunnel. Die Freien Wähler fordern wie 2009 eine Straßenunterführung. Auf die Umgehungsstraße West wird seit 2002 gewartet. Eine Verkehrs-Gesamtschau gibt es seit 1956 nicht. Die letzte Maßnahme in der Verkehrspolitik: In der Ludwig-Thoma-Straße wurde die Einbahnstraßenrichtung umgedreht. Und dann wieder zurückgedreht.
Vollkommen richtige Sicht. Vielleicht wäre die weitsichtige und überparteiliche Planung durch Verkehrsfachleute, ohne parteipolitische und heimatliche “Scheuklappen”, eine bessere Grundlage für ein Bürgerbegehren.