2017 hatte der Gemeinderat ein neues Gewerbegebiet südlich der Dachauer Straße beschlossen; 2018 sondierte BMW eine Ansiedlung nordwestlich von Mittenheim, die das Rathaus wohl auch akzeptiert hätte. Jetzt gilt plötzlich beides nicht mehr und die Gemeinde sucht einen Standort, ausdrücklich „ergebnisoffen“, wie es bei einer Bürgerinformation dazu am Dienstag ausdrücklich hieß.
Gesucht wird ein potentielles Gewerbegebiet von 15 bis 20 Hektar Fläche. Das Büro „db stadtplan“ hat für die Gemeinde untersucht, wo sich in Oberschleißheim überhaupt ein derartiges Areal erschließen ließe; gerade drei Standorte wurden gefunden: das 2017 bereits beschlossene Gewerbegebiet südlich der Dachauer Straße auf Höhe der Ertlsiedlung (auf der Grafik der Gemeinde Fläche C), die von BMW anvosierten Grünflächen an der Ortsgrenze zu Unterschleißheim (Fläche A) und an der Sonnenstraße, südlich anschließend an den Uni-Campus (Fläche E), was auch 2017 schon in der Diskussion war.
Angesiedelt werden solle in dem Gewerbegebiet dann gezielt ein Mix aus Produktion, Forschung, Entwicklung und Büros. Christian Böhm von “db” attestierte derzeit „eine starke Nachfrage nach Technologiestandorten“. Insbesondere im Kontext der Universität am Ort will die Gemeinde auch Start-Up-Unternehmen Raum bieten. Integriert werden sollen auch Versorgungsmöglichkeiten und nötige Infrastruktur wie eine Kindertagesstätte oder Mobilitätskonzepte.
Bei einer Informationsveranstaltung am Dienstag im Bürgerzentrum vor etwa 80 Besuchern wurde die Studie vorgestellt. Zu den unterschiedlichen Aspekten gab es dann Arbeitsgruppen, in denen Anregungen diskutiert wurden. Man wolle „die Bürger mitnehmen“, sagte Bürgermeister Christian Kuchlbauer, nachdem er die Gewerbepläne bei Mittenheim zuvor über Monate im Rathaus nichtöffentlich diskutieren ließ und die Bürger damit ausschloss.
„Den nächsten Bürgerentscheid wollen wir nicht“, sagte Kuchlbauer. Ein Bürgerentscheid hatte 2013 die Pläne verhindert, westlich der Ertlsiedlung an der A92 ein Gewerbegebiet zu erschließen. Dieser Standort (Fläche B) ist von der aktuellen Studie ebenso wie sein Pendant südlich der B471 (Fläche D) nicht als geeignet empfohlen worden. Das gesetzliche Anbindegebot, wonach Gewerbegebiete nur an bestehende Besiedlung anknüpfen, aber nicht auf freier Flur erschlossen werden dürfen, sei „ein starkes Argument, das man schon ernst nehmen sollte“, sagte Planer Böhm.
Die Studie bewertet alle drei Standorte als geeignet, eine Reihung aber gebe es ausdrücklich nicht: „Jede Fläche hat große Vor- aber auch Nachteile“, sagte Böhm, „mit denen man sich jeweils intensiv auseinandersetzen muss“. Ein großer Nachteil der Flächen an Dachauer und Sonnenstraße ist, dass beide im Landschaftsschutzgebiet liegen. Das ist keine unüberwindliche Hürde, aber eine Ausgliederung aus den Schutzvorschriften bedarf immerhin einer Begründung.
Laut der Studie wäre ein zentraler Punkt der Begründung nun, dass es keine Alternativen gibt. Alle potentiellen Flächen östlich des Ortes und westlich der Autobahn A92 hat die Studie kategorisch ausgeschlossen – eben wegen des Landschaftsschutzes, der hier „eindeutig im Vordergrund stehen sollte“, wie Böhm sagte.
„Ein Kompromiss muss her“, sagte Kuchlbauer, denn trotz aller Ansprüche an die Landschaft müsse der Ort mehr Gewerbesteuer generieren: „Oberschleißheim kann nicht davon leben, für die anderen Kommunen die Lebensqualität und den Freiraum zur Verfügung zu stellen.“
Bürgermeister Kuchlbauer definiert den Begriff „Bürgerdialog“ neu. Als Gast der sog. Informationsveranstaltung mit Bürgerdialog „Gewerbestandorte“ fragte ich mich während des Abends häufig, worum es Kuchlbauer wirklich geht und warum bestehende Fakten von ihm nicht erwähnt werden.
Nach einem einführenden Monolog des Bürgermeisters und einem Impulsreferat eines Vertreters des Planungsbüros wurde das weitere Procedere zum Ablauf erläutert. Die Möglichkeit, inhaltliche Rückfragen im Plenum zu stellen, wurde nicht offeriert: Dialog — landläufig als Rede und Gegenrede bekannt — Fehlanzeige. Bei der Vorstellung der Ergebnisse in der gemeinsamen Abschlussrunde lautete das Motto erneut „Dialog — Fehlanzeige“. Nur auf eigene Initiative hin kam man überhaupt zu Wort, um dann zu hören, dass keine Zeit dafür sei, die gestellten Fragen zu beantworten. Gnädigerweise ging der Bürgermeister zumindest auf eine kurz ein, ohne wirklich konkret zu werden. Wer kein Interesse an einem inhaltlichen, auf soliden Argumenten fußenden Austausch hegt, sollte zukünftig lieber Abstand von der Einberufung von Bürgerdialogen nehmen und sie als Wahlkampfveranstaltung titulieren.
Doch was ist das eigentliche Problem im Kontext der Gewerbeansiedlung? Bürgermeister Kuchlbauer hat in den letzten Jahren schlichtweg versäumt, den Beschluss des Gemeinderates vom 14.02.2017 („Ausweisung eines neuen Gewerbegebietes“) mit Nachdruck umzusetzen. Dem Gemeinderat wurde bereits am 25.10.2016 eine ausführliche „Machbarkeitsstudie Gewerbegebietsentwicklung“ des renommierten Planungsbüros Dragomir vorgestellt, in der alle Standorte mit Vor- und Nachteilen dargelegt werden. Neu am 15.10.2019 war lediglich die Fläche A im Norden Oberschleißheims, die sich an der Gemarkungsgrenze zu Unterschleißheim befindet und im Zuge einer möglichen BMW-Ansiedlung in aller Munde war.
Der gefasste Beschluss aus dem Jahr 2017 (siehe oben) legt fest: „Der Bürgermeister verhandelt über die Größe des Gewerbegebietes, gewünscht ist eine Fläche mit mehr als 10 ha.“ Eine klare Mehrheit im Gemeinderat entschied sich für die Fläche 7a direkt südlich der B471, westlich im Anschluss an die Tierärztliche Fakultät. Probleme mit dem sog. Anbindungsgebot bestehen hier übrigens definitiv nicht.
Was ist also in den mehr als zweieinhalb Jahren seit dem Beschluss passiert? Eines steht fest: Egal, ob oder wie oft Kuchlbauer mit dem Freistaat über die Fläche verhandelt hat, erreicht hat er nichts. Bester Beleg dafür ist seine eigene Veranstaltung am 15.10., bei der der geltende Beschluss nicht ein einziges Mal erwähnt und der Prozess im Vorfeld als „ergebnisoffen“ angekündigt wurde. So viel Chuzpe muss man erstmal haben.
Anhand der Karten und Daten, die in der Veranstaltung vorgestellt wurden, hat sich einmal mehr gezeigt, dass der Standort B optimal ist: Die Schallimmission zu den Wohngebieten und die Einbußen beim Landschafts- und Naturschutz sind hier am geringsten eingestuft. Zusammen mit der aktuell tatsächlich in Planung befindlichen Ortsumgehung wäre auch die Erschließung perfekt. Dass diese Fläche “ausdrücklich ausgeschlossen” wurde, hat nichts mit dem Anbindegebot zu tun, sondern ist ausschließlich politisch motiviert.
In der Veranstaltung wurde ausgeführt, dass es sich bei der angestrebten “Klientel” eher um “leichtes, produzierendes Gewerbe” handelt, da die Nachfrage nach Büroflächen durch das Unterschleißheimer Koryfeum schon gut bedient sei. So eine Nutzung hat in der direkten Nachbarschaft von Wohnbebauung nichts zu suchen!