Irgendeine Form der kontinuierlichen Bürgerbeteiligung soll es auch in Oberschleißheim vielleicht mal geben – aber wie, in welcher Form, mit welchem Ziel, dazu ist der Gemeinderat noch völlig ratlos. Nach intensiver Debatte wurde erstmal lediglich beschlossen, einen Vertreter der Unterschleißheimer Stadtverwaltung einzuladen, der im Gemeinderat das dort genutzte System „Consul“ vorstellen soll.
Die „Überprüfung zur Einführung eines Bürgerbeteiligungssystems“ hatte die FW beantragt. Man höre „immer wieder den Hinweis, warum sich der Bürger nicht an bestimmten Verfahren und Entscheidungen beteiligen kann“, heißt es im Vorstoß der FW.
Durch die Einbeziehung der Bevölkerung soll zudem erreicht werden, „dass die Politik wieder nahbar wird und jeder einzelne sich in bestimmten Projekten einbringen kann“. Dies fördere die Gemeinschaft und die Akzeptanz in der Bevölkerung.
Casimir Katz (FDP) nannte den Antrag im Gemeinderat „einen Widerspruch in sich“, da er die Einführung einer Bürgerbeteiligung der Gemeindeverwaltung auftrage — ohne Bürgerbeteiligung.
Bürgermeister Markus Böck (CSU) hätte die Ziele „gern etwas konkreter“. Nur Stimmungen abzufragen oder Bürger an Entscheidungsprozessen zu beteiligen, seien sehr unterschiedliche Dinge. Für umfassende Bürgerbeteiligung sehe er „die Themen sehr begrenzt“.
In seiner Amtszeit seit 2020 falle ihm da überhaupt noch kein Thema ein. Ihr schon, konterte Gaby Hohenberger (Grüne); die Abholzung der Allee entlang der Veterinärstraße oder die Situierung des Gewerbegebietes wären durchaus Themen für eine interessante Bürgerbeteiligung gewesen.
FW-Sprecher Stefan Vohburger sagte, man wolle das eventuelle Forum „möglichst offen“ halten, um niederschwelligen Zugang zu erreichen und den Leuten Spaß bei der Beteiligung zu vermitteln.
Das sah Katz als völlig verfehlt. „Politik ist das Bohren dicker Bretter, ein mühseliges Geschäft, aber kein Spaß.“ Mit diesem Ansatz werde man viel Enttäuschung und Frustration generieren. Das sei jedenfalls „nix, was irgendwie weiterhilft“.
Florian Spirkl (SPD) fragte sich, wie die Themen festgelegt würden, die man der Allgemeinheit vorlegen wolle. Er sehe „Bedenken, dass der Gemeinderat dann eine Bürgerbeteiligung will, wenn keine eigene Mehrheit im Gemeinderat in Sicht ist“.
Er halte eine umfassende Bürgerbeteiligung bei „großen“ Themen für sinnvoll, eine reines online-Forum zum Meinungsaustausch und als Stimmungsbarometer eher nicht.
Peter Benthues (CSU) zweifelte die repräsentative Kraft eines derartigen Systems an. „Demokratie lebt von Mehrheiten“, sagte er, „und das ist so nie zu erreichen.“ Wenn sich zu einer online-Umfrage zehn Leute äußerten, bildeten sie ein Votum, „aber das ist nicht die Mehrheit“. Andere Meinungen würden sich beispielsweise nicht äußern, „weil sie dafür den Gemeinderat gewählt haben“.
Zudem müsse man „die Enttäuschungshaltung bedenken“, wenn Bürger beteiligt, aber dann gegen ihre Ansichten entschieden würde.
Einigen konnte sich der Gemeinderat dann lediglich auf den ersten Schritt, sich bei Nachbar Unterschleißheim über ein System zu informieren.
Liebe Leserinnen und Leser,
da haben die Freien Wähler den Damen und Herren des Gemeinderates aber ein Ei gelegt. Die Einrichtung eines Bürgerbeteiligungssystem solle geprüft werden. Die Oberschleißheimer Bürgerinnen und Bürgern sollen so institutionalisiert ihre Meinungen und Ideen einbringen können.
Und damit das nicht reicht, verweisen die Freien Wähler noch auf den großen Bruder Unterschleißheim als Vorbild. Die haben nämlich mit der Internetplattform https://consul.unterschleissheim.de/ schon ein Bürgerbeteiligungssystem gestartet. Gerade konnten wir letztes Jahr noch mit aller Müh´ die Verwaltungsgemeinschaft mit Unterschleißheim verhindern. Und jetzt wird uns schon wieder unter die Nase gerieben, dass da drüben in der Verwaltung ja so vieles toll, wenn nicht sogar besser sei.
Und was macht der Gemeinderat? Der Bürgermeister hat alle Mühe, überhaupt ein für Bürgerbeteiligung geeignetes Thema zu finden. Casimir Katz (FDP) sieht neben (virtuellen?) fliegenden Eiern die Gefahr der Frustration bei den Bürgerinnen und Bürgern, wenn geweckte Erwartungen nicht erfüllt würden. Peter Benthues (CSU) verweist darauf, dass solche Beteiligungen keinesfalls repräsentativ seien. Florian Spirkl (SPD) kontert, dass ein solches System innerhalb des Gemeinderates als Druckmittel missbraucht werden könne. Dass Gaby Hohenberger (Grüne) mit Gewerbegebiet und Baumfällungen gerade nur ihre eigenen Leib- und Magenthemen für ein Bürgerbeteiligungssystem empfiehlt, dürfte die Vorfreude der weiteren Mitglieder des hohen Hauses nicht gerade gefördert haben. Die ÖDP scheint in dieser Sache keine Meinung zu haben.
Ja, es entsteht der Eindruck, das Thema sei erfolgreich zerredet worden. Aber die Damen und Herren des Gemeinderates — natürlich mit Ausnahme der Freien Wähler — als “Autokraten” und “Ignoranten” zu bezeichnen, das, lieber Herr Stadelmaier, halte ich für unanständig. Immerhin ist das Thema — so der Bürgermeister — einstimmig zur weiteren Behandlung empfohlen worden.
Aber nun zurück zum Bürgerbeteiligungssystem: Ich habe mir das Unterschleißheimer Consul angesehen und konnte auf den ersten Blick keinen Unterschleißheimer Stadtrat finden, den es zum Frühstück verspeist hätte. Auch habe ich in der Lokalpresse noch keine Berichte über ein kommunalpolitikerfressendes Bürgerbeteiligungssystem in Unterschleißheim wahrgenommen.
Was ich aber wahrgenommen habe, ist, dass es der Kommunalpolitik wertvollen Input geben kann: Das erste Thema ging um “Bürgerbeteiligung” selbst und gab den Bürgerinnen und Bürgern die Gelegenheit, die von ihnen verwendeten Kanäle für Informationen zur Kommunalpolitik zu nennen und zu bewerten.
Beim zweiten Thema “Mehrgenerationenwohnen Lohhof Süd” konnten die Bürgerinnen und Bürger nicht nur abstimmen, sondern bei vorgegebenen Themen eigene Ideen erstellen. Ich sehe also weniger die Chance, durch Abstimmungen Meinungen der Bürgerinnen und Bürger einzuholen, als dass zusätzliche Ideen in Debatten eingebracht werden.
Ein auch noch so engagierter Gemeinderat kann weder alle Aspekte eines Themas berücksichtigen noch Volkes Meinung immer richtig einschätzen. Casimir Katz hat in seinem lesenswerten Beitrag die bestehenden informellen Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung dargestellt. Ich sehe nicht, warum ein Bürgerbeteiligungssystem nicht eine sinnvolle digitale Ergänzung darstellen kann.
Mit den besten Grüßen
Andreas C. Hofmann
Ich bin nun doch ziemlich entsetzt über den ursprünglichen Bericht mit der vielsagenden Überschrift und die ergänzende Meinungsverlautbarung. Es gibt eine hohe Kunst der Ignoranz und es gibt diese hier, von der beteiligungsfeindlichen Insel Oberschleißheim: aufgebrachtabschlägigverneinendverweigerndablehnend.
Ich habe mir sehr viel Mühe gegeben, der Gemeinde das Thema Bürgerbeteiligung überhaupt erst einmal zur Kenntnis zu bringen. Dem Bürgermeister habe ich seit weit über einem Jahr konkrete Beispiele aus unseren Nachbargemeinden aufgezeigt, von Namensgebungen bis hin zum Einbringen von Ideen bei Neubaugebieten.
Dem Rat habe ich bei der Sitzung am 23. November 2021 kartonierte Broschüren der Bayerischen Staatsregierung überreicht, voller Beispiele aktueller erfolgreicher Ergebnisse aus genannten Kommunen; für jeden Rat eine. Samt aufgezeigter Organisation solcher Beteiligungen. Und nun? Unwille, Schlechtreden, ja Empörung! Aversionen kleiner Autokraten, die Plätze ihrer Bürger fraktionsweise benennen. Und solchen Ignoranten wollen wir die Zügel überlassen? Gott bewahre.
Jedenfalls herzlichen Dank den FW für den Vorstoß. Die Diskussion kommt bestimmt in Gang.
Bürgerbeteiligung scheint ein Hype zu sein. Aber wurde sie nicht schon längst beschlossen und sogar umgesetzt?
Die Agenda 21 betont, dass auch regierungsunabhängige Organisationen und Einrichtungen an politischen Entscheidungen zu beteiligen sind. Auch hier im Ort gibt es immer noch vier Agenda-Gruppen, die in unterschiedlicher Intensität arbeiten und in die politischen Entscheidungen auch unterschiedlich eingebunden sind. Bei der Zukunftskonferenz, dem Verkehrsentwicklungsplan wurden die Bürger intensiv eingebunden. Vielleicht erinnert sich noch jemand an das Jugendparlament vor ca. 25 Jahren.
Wir leben in einer repräsentativen Demokratie. Im Gegensatz zu kleinräumigen Vollversammlungen bei den alten Germanen oder in den Schweizer Ur-Kantonen werden Entscheidungen durch gewählte Vertreter getroffen. Diese gewählten Vertreter sind nicht ihren Wählern, sondern der gesamten Bevölkerung verantwortlich.
Das ist untrennbar damit verbunden, dass die Volksvertreter ansprechbar sein müssen. Und auch hier gilt das Grundprinzip, dass man auf Kunden bzw. Bürger hören muss, aber nicht genau das tun, was sie wollen, sondern alle Interessen gegeneinander abwägen muss. Die letzten Entscheidungen trifft das gewählte Gremium.
Das Instrument des Bürger- und Volksentscheids kommt daher ergänzend hinzu, hat aber nicht nur rechtliche Beschränkungen, sondern auch den Nachteil, dass die einmal formulierte Frage auch mit neueren Erkenntnissen nicht mehr verändert werden kann. Die einzige Korrekturmöglichkeit ist dann ein Gegenentwurf des zuständigen Gremiums.
Was dieser letzten Form der Bürgerbeteiligung also fehlt, ist der Dialog. Und ein Dialog, in dem nur unveränderliche Positionen ausgetauscht werden, oder gar einseitig Eier oder Tomaten fliegen, ist in Wirklichkeit keiner. Ein echter Dialog muss Meinungen und Erkenntnisse austauschen. Fakten erleichtern diesen Prozess deutlich. Reine Anregungen neigen dazu, nicht verstanden und dann ignoriert zu werden.
Sehr wichtig ist dabei, dass ein gefundener Consens auch festgehalten wird und man darauf aufbaut. Wenn eine Entscheidung mal demokratisch getroffen wurde, sollte sich der weitere Dialog auf das „wie“ und nicht auf das „ob“ konzentrieren. Das wurde im heutigen Hearing im Mobilitätsausschuss des Bayrischen Landtags noch mal klar formuliert.
Jede Baumaßnahme hat verschiedene Planungsstufen, die sich auch in den Leistungsphasen der HOAI widerspiegeln. Aus einer Idee folgen: Grundlagenermittlung, Vorplanung, Entwurfsplanung, Genehmigungsplanung, Ausführungsplanung. Eine Bürgerbeteiligung stellt sehr früh Fragen, die eigentlich erst später behandelt werden. Man braucht daher einen gewissen Planungsvorsprung, der aber fortlaufend angepasst werden muss.
Wenn das nicht passiert, landet man ganz schnell in der Situation, dass das finale Ergebnis nicht mehr den Intentionen der Idee entspricht. Dabei ist leider auch ein entsprechend langer Zeitraum der Beteiligung und des Abwägens erforderlich, bei dem die Beteiligten dabei sein sollten.
Es ist also komplex und man sollte wissen, wo man hin will, bevor man losrennt.