Offener Brief zur Orts­pla­nung

Kürz­lich habe ich einen Leser­brief zur Münchner Stadt­po­litik an den Münchner Merkur geschrieben — als gebür­tiger Münchner habe ich die ersten 40 Jahre in der Maxvor­stadt gewohnt und bin noch 20 Jahre arbeits­täg­lich mit der S1 zum Stachus gefahren.

In einem Gast­bei­trag hatte Ex-Ober­bür­ger­meister Chris­tian Ude aus der Antritts­rede von Georg Krona­witter als Ober­bür­ger­meister 1972 zitiert — die vor 50 Jahren von diesem beklagten Entwick­lungen, neben dem Miet­wu­cher die „wach­sende Gleich­för­mig­keit des Stadt­bildes“ und die „Blech­la­winen“ sind aktu­eller denn je und haben sich trotz 1948 durch­gängig von der SPD gestellten Ober­bür­ger­meis­tern (bis auf den „Betriebs­un­fall“ Erich Kiesl) nicht verbes­sert.

Beim Formu­lieren des Leser­briefes wanderten die aktu­ellen Planungen für Ober­schleiß­heim — nicht zuletzt der viel­fäl­tigen (7?) Gutachten mit 387 Seiten zum Campus — vor mein geis­tiges Auge und ich möchte ein „Bild“ unseres Ortes in 50 Jahren — also was wir hinter­lassen — zeichnen … ob’s kaba­ret­tis­tisch, persi­fliert über­zeichnet ist?

Nun mein Blick in die Glas­kugel: “2072 — 100 Jahre Olym­pia­standort Ober­schleiß­heim“…

Werk­täg­lich schlichtet sich der Verkehr von der 4‑spurig ausge­bauten B471 und von Neuher­berg kommend — wie seit Jahr­zehnten ist die Auto­bahn völlig über­lastet — am Kreisel Lust­heim inein­ander.

Endlich können die E‑Autos staufrei an der Schloss­mauer entlang mit Tempo 50 nach einem kurzen Blick aufs Schloss in den „Landrat-Chris­toph-Göbel-Tunnel“ einfahren; der war zwar doppelt oder drei­fach so teuer wie die erste „poli­ti­sche Kalku­la­tion“ (Zitat vom Scheuer Andi zu Teue­rungen wie der Stamm­strecke) geworden, aber man hat dadurch eine alter­na­tive Umge­hungs­straße durch das wert­volle, entlang der Auto­bahn gele­gene Natur­schutz­ge­biet, dem Kapu­zi­ner­hölzl vermieden (das hatte der inzwi­schen verstor­bene Minis­ter­prä­si­dent Markus Büchler vehe­ment verhin­dert. Die zuerst ange­dachte Namens­ge­bung „Andreas-Scheuer-Tunnel“ wurde wegen mögli­cher Wort­spiele verworfen).

Aus dem Tunnel kommend wird der Blick nach links frei, wo die quad­er­för­migen Büro­ge­bäude im „Markus-Böck-Gewer­be­park“ die gleich­för­mige Silhou­ette bieten, wie sie sich im ganzen Land­kreis und der Stadt „bewun­dern“ lässt — das Areal wurde ja aus dem Natur­schutz­ge­biet heraus­ge­löst.

Ein nur kurz ange­dachter Solar­park und/oder Windrad wurde ange­sichts der prognos­ti­zierten „spru­delnden“ Gewer­be­steuer sofort verworfen, die („poli­ti­sche Kalku­la­tion“!) Steu­er­höhe wird wegen der im ganzen Umfeld über­bor­denden Büro­flä­chen und der hybriden Arbeits­weisen seit jeher leider nur teil­weise erreicht.

Die staufreien “Klee­blätter” (wegen der Verbin­dung der Staats­straße „neu“ zur B471 ist ein 2. „kleines Klee­blatt” noch näher zum Orts­rand gerutscht/ das „große Klee­blatt” und dem 6‑spurigen Auto­bahn­ausbau hatten sogar die Orts-Grünen wegen des verbes­serten Lärm­schutzes zustimmen müssen, eine einfache Geschwin­dig­keits­be­schrän­kung war bei der geltenden Geset­zes­lage für die Regie­rung von Ober­bayern nicht durch­setzbar) fährt man nun hinter dem Expressbus nach Dachau nur kurze Zeit her — endlich wurde die B471 ab der Regat­ta­an­lage 4‑spurig mit Tempo 100 ausge­baut.

Da die Staats­straße 2342 am “Klee­blatt” endet — die Unter­schleiß­heimer konnten sich gegen eine Trasse über ihr Gemein­de­ge­biet per Bürger­be­gehren erfolg­reich wehren — staut sich der Verkehr nach München-Feld­moching durch Ober­schleiß­heim immer noch täglich.

Dabei fällt in Mitten­heim der Blick auf die quad­er­för­migen Gebäude des „Quar­tiers Mitten­heim“ — Gott­sei­dank hat man bei den Außen­fas­saden nur „unge­rich­tete, struk­tu­rierte mine­ra­li­sche Außen­putze“ zuge­lassen, die den „Bezug zur geomor­pho­lo­gi­schen Beschaf­fen­heit der Münchner Schot­ter­ebene (Kies — Fels ‑Stein) herstellen“ (Zitat aus den Planungs­un­ter­lagen).

Den „Geburts­fehler“ einer fehlenden Nahver­sor­gung a la Tante-Emma-Laden hat man durch Abhol­au­to­maten von Amazon und Rewe geheilt, leider ohne die mine­ra­li­schen Außen­putze… Und für größere Besor­gungen kosten­freie E‑Lasten-Leih­fahr­räder für Fahrten zu Fein­kost-Aldi und Bio-Lidl am südli­chen Orts­rand zur Verfü­gung gestellt. Die Lade­sta­tionen tragen die Aufschrift „Nur bei ausrei­chender Sonnen­ein­strah­lung ausschließ­lich für E‑Bikes zu benutzen“.

Übri­gens: Die gleiche „Nahver­sor­gung“ konnte man bei den quad­er­för­migen Neubauten gegen­über dem Studen­ten­wohn­heim und an der St.-Margarethen-Straße errei­chen — die Planer hatten doch etwas opti­mis­tisch keine Über­las­tung bestehender Verkehrs­wege durch die 220 neuen Wohn­ein­heiten prognos­ti­ziert. Gut, dass der tägliche Bedarf jetzt von Rewe und Amazon sicher­ge­stellt wird.

Bei der Fahrt zur Kreu­zung B471 Rich­tung Feld­moching fällt die komplexe Stra­ßen­füh­rung auf, die durch den Tunnel abge­hängten Orts­teile mussten schließ­lich ander­weitig mit Verschlei­fungen z. B. beim Schloss ange­schlossen werden. Auch musste eine Zufahrt zur St.-Margarethenstraße und somit dem „Markus-Böck-Gewer­be­park“ aus allen Rich­tungen sicher­ge­stellt werden.

Weiter Rich­tung Feld­moching hält man an der Ampel, wo die Vete­ri­närstraße — vormals eine Allee mit 30-Zone — nun für den „Begeg­nungs­ver­kehr“ der zulie­fernden Laster breit ausge­baut wurde. Die vorhan­denen 2 Zufahrten von der Sonnen­straße zur Tier­ärzt­li­chen Fakultät hätten wohl zu einem unzu­mut­baren Verkehr inner­halb des Campus geführt, deshalb wurden die Ausbau­kosten der Vete­ri­närstraße auch groß­zügig vom Frei­staat via Fakultät über­nommen.

Teure Inves­ti­tionen wie das Hallenbad wurden immer wieder verworfen; 2021 musste die Gemeinde einge­stehen, dass alle Rück­lagen in Höhe von ca. 5 Mio. € bei einer einzigen Adresse “Greensill” wegen eines gering­fügig höheren Zins­satzes ange­legt und komplett verloren waren. Der Haus­halt war deshalb jedes Jahr „auf Kante genäht“ und für größere Vorhaben kein Spiel­raum. Aber…

Gott­sei­dank ist das ehren­amt­liche Enga­ge­ment erhalten geblieben: Als der vorma­lige Landrat Chris­toph Göbel zu groß dimen­sio­nierte Express­busse — die Fahr­gast­zahl auf der Strecke Garching-Ober­schleiß­heim-Dachau waren meist einstellig — gegen umwelt­freund­liche E‑Busse austauschte, wurden diese der Gemeinde über­lassen. Wegen dieser groß­zü­gigen Spende stimmten die Ober­schleiß­heimer Bürger mit großer Mehr­heit bei der Namens­ge­bung des Tunnels für den Landrat.

Mit dem aus der Klär­an­lage gewon­nenen Biogas fahren Busse 2x pro Woche zum Olympia-Hallenbad nach München. In der Tradi­tion der legen­dären Fried­hofs­fahrten werden die Busse — mit der Aufschrift „zum Gedenken an Brigitte Scholle, lang­jäh­rige VdK-Vorsit­zende“ von VdK-Mitglie­dern gesteuert. Gewartet werden die Busse (mit H‑Kennzeichen) von Mitar­bei­tern des Bauhofes in ihrer Frei­zeit.

Wegen der geringen Wasser­tem­pe­ra­turen — die neue Ober­bür­ger­meis­terin, eine Tochter von Karin Haben­schaden, führt den radikal-ökolo­gi­schen Kurs ihrer Mutter weiter — hat der Lions-Club Ober­schleiß­heim für Rentner*Innen (Eintritts­alter 72) Neopren­an­züge gespendet.

Und so leben alle Ober­schleiß­heimer Bürger stolz auf und in ihrem verkehrs­durch­tosten Ort ohne 30-Zone bei den Durch­gangs­straßen, ohne Hallenbad und warten auf die Stadt­er­he­bung — die Orts­schilder „Univer­si­täts­stadt“ sind schon lange beauf­tragt — aber viel­leicht haben sie die bevor­ste­hende Einge­mein­dung zu Unter­schleiß­heim oder sogar München einfach nur „über­sehen“…

Wie sagte ein Nachbar auf die Frage, wie er die Planungen sieht: „…ein Alptraum, aber mir ist’s Wurscht, ich erleb‘s eh nicht mehr!“

Nun hatte ich letzte Nacht noch einen Traum: Die poli­ti­schen Gremien hatten im Herbst 2022 die Reiß­leine gezogen und einen Gesamt­plan „Ober­schleiß­heim 2030“ entworfen.

Statt des Tunnels wurden ab der Kreu­zung bei Garching-Hoch­brück die B13/B471 zusam­men­ge­legt, ab der Ausfahrt Neuher­berg die B471 als Umge­hungs­straße mit der Staats­straße weiter bis zum Klee­blatt geführt. Die groß­räu­mige Weiter­füh­rung nach Unter­schleiß­heim führt zu keinen Lärm­be­läs­ti­gungen.

Die B471/alt wird von der genannten Kreu­zung bis zum Kreisel Lust­heim nur mehr vom ÖPNV und Radlern genutzt, ganz Ober­schleiß­heim ist inner­orts 30-Zone.

Auf dem geplanten Gewer­be­ge­biet ist ein Solar­park und am Kreuz Feld­moching ein Windrad (beides als Bürger­be­tei­li­gungs­mo­dell finan­ziert) entstanden — mit dem Land­kreis wurde ein „1.000-Dächer-Programm“ und die Förde­rung von Wärme­pumpen aufge­legt — Ober­schleiß­heim ist so gut wie ener­gie­autark.

Notwen­dige Neubauten neben der Tier­ärzt­li­chen Fakultät beinhalten ein Studen­ten­wohn­heim, Wohnungen für Bediens­tete und wenige Büros für Dienst­leister, einen Kinder­garten, Geschäfte und Praxen zur Nahver­sor­gung.

In allen Neubau­ge­bieten wurden „Tante-Emma-Läden“ für den tägli­chen Bedarf inte­griert.

Die Theodor-Heuss-Straße war ab dem Kinder­garten bis zum Bürger­platz in eine Fußgän­ger­zone umge­wan­delt, ein neuer „Markus-Böck-Rathaus­platz“ entstanden — auf dem ehema­ligen Park­platz war ein Rathaus mit großer Tief­ga­rage entstanden.

Wegen der hybriden Arbeits­weise — das Digi­ta­li­sie­rungs­pro­jekt der Nord­Al­lianz hatte tatsäch­lich alle Verwal­tungs­vor­gänge extrem verschlankt — waren nur mehr einige mobile Arbeits­plätze notwendig. Der neue Gebäu­de­kom­plex beinhal­tete sogar Wohnungen für Gemein­de­mit­ar­beiter.

Der frühere Volks­fest­platz war in einen „Ingrid-Lind­büchl-Frei­zeit­park“ umge­wan­delt worden — ihr Lebens­traum war wahr geworden, Senioren und Jugend­liche vergnügten sich neben­ein­ander. Die Mitte dieser beiden Plätze zierte ein Wahr­zei­chen, der „Pfarrer-Ulrich-Kampe-Brunnen”.

Im Traum wollte ich weiter spazieren, gibt’s sogar ein neues Hallenbad… da habe ich mich zum Schloss verlaufen und sah die Laster in den „Landrat-Chris­toph-Göbel-Tunnel“ mit über­höhter Geschwin­dig­keit rauschen…

Aufge­wacht, schweiß­ge­badet  — wieder in die Realität zurück­ge­kehrt — wann haben poli­ti­sche Gremien zuletzt gefasste Beschlüsse korri­giert, seien sie noch so irrwitzig…

Aber träumen kann einem ja niemand verbieten… Gute Nacht, Ober­schleiß­heim!

Joachim Dähler

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