Vereinsheim in Oberschleißheim, Foto: privat

Die verflixten Jahre waren verhäng­nis­volle Jahre

18.12.2023 | Kultur & Geschichte | 0 Kommentare

Anmer­kungen zum jüngsten Buch von Otto Bürger

Wohl kaum einen zweiten Ort rund um München haben die Nazis derart geprägt wie Ober­schleiß­heim. Mit zwei Zahlen macht Otto Bürger in seinem Buch „Schleiß­heim und die verflixten 1930er Jahre“ das Ausmaß der Verän­de­rungen deut­lich: 1930 zählte die Gemeinde 2382 Einwohner. 1939 waren es 3216 Einwohner. Macht ein Plus von über 35 Prozent. Tatsäch­lich erlebte Ober­schleiß­heim einen „Bauboom“ (Bürger), der vor allem Altschleiß­heim bis heute prägt – man denke an die Offi­ziers­blocks in der Hasels­ber­ger­straße, die Feld­we­bel­blocks in der Mitten­heimer Straße oder das heutige Vereins­heim in der Jahn­straße (Bild)

Ohne den Flug­platz hätte diese Expan­sion nie statt­ge­funden. Wenige Wochen nach der „Macht­er­grei­fung“ am 30. Januar 1933 ordnete das neue „Reichs­kom­mis­sa­riat für die Luft­fahrt“ unter Herr­mann Göring eine Mili­tär­flie­ger­schule für Ober­schleiß­heim an, die im April 1934 ihren Betrieb aufnahm. In den folgenden Jahren zogen jede Menge Offi­ziere, Unter­of­fi­ziere und Soldaten in die Schlös­ser­ge­meinde, die vom braunen Regime mehr als über­zeugt waren. Für die NSDAP war Ober­schleiß­heim dann auch eine beson­dere Hoch­burg, die von Partei­größen wie Himmler und Göring gerne besucht wurde.

Das gipfelte in einer bombas­ti­schen Zehn-Jahres-Feier der 1926 gegrün­deten Orts­gruppe im Olympia-Jahr 1936, die Otto Bürger auf 17 Seiten ausführ­lich schil­dert. Rund 2000 Gäste bevöl­kerten den 3000-Einwohner-Ort, zwei Tages lang gab es Fest­um­züge, Sonnen­wend­feiern, Toten­eh­rungen und die Grund­stein­le­gung für ein Hitler­ju­gend-Heim (das heutige Vereins­heim).

Auf dem Flug­platz übten ange­hende Wehr­macht­pi­loten bereits künf­tige Kriegs­ein­sätze. Die Flie­ger­staffel, die 1937 im spani­schen Bürger­krieg Guer­nica zerstörte, wurde fast ausschließ­lich in Ober­schleiß­heim ausge­bildet. Wenig verwun­der­lich waren im Zweiten Welt­krieg Flieger aus Ober­schleiß­heim vom ersten Tag an dabei. Die „verflixten“ 1930er Jahre entpuppten sich endgültig als sehr verhäng­nis­volle Jahre.  

Kapitel über den schnellen Ausbau des Flug­platzes, ein aufwän­diges Stra­ßen­rennen als weiteres Propa­gan­daspek­takel von 1936, die Erleb­nisse eines Jagd­flie­gers in Schleiß­heim und die wenigen NS-Gegner wie den zeit­weise inhaf­tierten Pfarrer Josef Kranz runden das Buch ab. Auf rund 100 Seiten hat Otto Bürger das wohl schwie­rigste Thema in seiner lang­jäh­rigen Arbeit als ehren­amt­li­cher Orts­chro­nist ange­packt und hierfür auch in den Bundes­ar­chiv-Stand­orten Koblenz und Frei­burg recher­chiert.

Der heute 84jährige hat die 1930er Jahre nicht selbst erlebt. Aber er wuchs in einer Umge­bung auf, die von diesen offenbar durchaus beein­druckt war, und konnte im Zweiten Welt­krieg mit seinen Zerstö­rungen gerade auch in Ober­schleiß­heim früh eigene Schluss­fol­ge­rungen ziehen. Den endgül­tigen Anstoß, sich mit der Orts­ge­schichte zu beschäf­tigen, gab seinen Aussagen zufolge Pfarrer Kranz, der ihn als Mess­diener enga­gierte. Inso­fern spie­gelt das Buch auch ein Stück persön­li­cher Geschichte wider.

Das Buch „Schleiß­heim und die verflixten 1930er Jahre“ kostet 25 Euro und kann per E‑Mail beim Verein Freunde von Schleiß­heim (heinrich@wutscher.de) bestellt werden.  Stefan Bottler

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