Anmerkungen zum jüngsten Buch von Otto Bürger
Wohl kaum einen zweiten Ort rund um München haben die Nazis derart geprägt wie Oberschleißheim. Mit zwei Zahlen macht Otto Bürger in seinem Buch „Schleißheim und die verflixten 1930er Jahre“ das Ausmaß der Veränderungen deutlich: 1930 zählte die Gemeinde 2382 Einwohner. 1939 waren es 3216 Einwohner. Macht ein Plus von über 35 Prozent. Tatsächlich erlebte Oberschleißheim einen „Bauboom“ (Bürger), der vor allem Altschleißheim bis heute prägt – man denke an die Offiziersblocks in der Haselsbergerstraße, die Feldwebelblocks in der Mittenheimer Straße oder das heutige Vereinsheim in der Jahnstraße (Bild)
Ohne den Flugplatz hätte diese Expansion nie stattgefunden. Wenige Wochen nach der „Machtergreifung“ am 30. Januar 1933 ordnete das neue „Reichskommissariat für die Luftfahrt“ unter Herrmann Göring eine Militärfliegerschule für Oberschleißheim an, die im April 1934 ihren Betrieb aufnahm. In den folgenden Jahren zogen jede Menge Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten in die Schlössergemeinde, die vom braunen Regime mehr als überzeugt waren. Für die NSDAP war Oberschleißheim dann auch eine besondere Hochburg, die von Parteigrößen wie Himmler und Göring gerne besucht wurde.
Das gipfelte in einer bombastischen Zehn-Jahres-Feier der 1926 gegründeten Ortsgruppe im Olympia-Jahr 1936, die Otto Bürger auf 17 Seiten ausführlich schildert. Rund 2000 Gäste bevölkerten den 3000-Einwohner-Ort, zwei Tages lang gab es Festumzüge, Sonnenwendfeiern, Totenehrungen und die Grundsteinlegung für ein Hitlerjugend-Heim (das heutige Vereinsheim).
Auf dem Flugplatz übten angehende Wehrmachtpiloten bereits künftige Kriegseinsätze. Die Fliegerstaffel, die 1937 im spanischen Bürgerkrieg Guernica zerstörte, wurde fast ausschließlich in Oberschleißheim ausgebildet. Wenig verwunderlich waren im Zweiten Weltkrieg Flieger aus Oberschleißheim vom ersten Tag an dabei. Die „verflixten“ 1930er Jahre entpuppten sich endgültig als sehr verhängnisvolle Jahre.
Kapitel über den schnellen Ausbau des Flugplatzes, ein aufwändiges Straßenrennen als weiteres Propagandaspektakel von 1936, die Erlebnisse eines Jagdfliegers in Schleißheim und die wenigen NS-Gegner wie den zeitweise inhaftierten Pfarrer Josef Kranz runden das Buch ab. Auf rund 100 Seiten hat Otto Bürger das wohl schwierigste Thema in seiner langjährigen Arbeit als ehrenamtlicher Ortschronist angepackt und hierfür auch in den Bundesarchiv-Standorten Koblenz und Freiburg recherchiert.
Der heute 84jährige hat die 1930er Jahre nicht selbst erlebt. Aber er wuchs in einer Umgebung auf, die von diesen offenbar durchaus beeindruckt war, und konnte im Zweiten Weltkrieg mit seinen Zerstörungen gerade auch in Oberschleißheim früh eigene Schlussfolgerungen ziehen. Den endgültigen Anstoß, sich mit der Ortsgeschichte zu beschäftigen, gab seinen Aussagen zufolge Pfarrer Kranz, der ihn als Messdiener engagierte. Insofern spiegelt das Buch auch ein Stück persönlicher Geschichte wider.
Das Buch „Schleißheim und die verflixten 1930er Jahre“ kostet 25 Euro und kann per E‑Mail beim Verein Freunde von Schleißheim (heinrich@wutscher.de) bestellt werden. Stefan Bottler
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