Irgendwas mit Bürgern

23.02.2022 | Rathaus | 3 Kommentare

Irgend­eine Form der konti­nu­ier­li­chen Bürger­be­tei­li­gung soll es auch in Ober­schleiß­heim viel­leicht mal geben – aber wie, in welcher Form, mit welchem Ziel, dazu ist der Gemein­derat noch völlig ratlos. Nach inten­siver Debatte wurde erstmal ledig­lich beschlossen, einen Vertreter der Unter­schleiß­heimer Stadt­ver­wal­tung einzu­laden, der im Gemein­derat das dort genutzte System „Consul“ vorstellen soll.

Die „Über­prü­fung zur Einfüh­rung eines Bürger­be­tei­li­gungs­sys­tems“ hatte die FW bean­tragt. Man höre „immer wieder den Hinweis, warum sich der Bürger nicht an bestimmten Verfahren und Entschei­dungen betei­ligen kann“, heißt es im Vorstoß der FW.

Durch die Einbe­zie­hung der Bevöl­ke­rung soll zudem erreicht werden, „dass die Politik wieder nahbar wird und jeder einzelne sich in bestimmten Projekten einbringen kann“. Dies fördere die Gemein­schaft und die Akzep­tanz in der Bevöl­ke­rung.

Casimir Katz (FDP) nannte den Antrag im Gemein­derat „einen Wider­spruch in sich“, da er die Einfüh­rung einer Bürger­be­tei­li­gung der Gemein­de­ver­wal­tung auftrage — ohne Bürger­be­tei­li­gung.

Bürger­meister Markus Böck (CSU) hätte die Ziele „gern etwas konkreter“. Nur Stim­mungen abzu­fragen oder Bürger an Entschei­dungs­pro­zessen zu betei­ligen, seien sehr unter­schied­liche Dinge. Für umfas­sende Bürger­be­tei­li­gung sehe er „die Themen sehr begrenzt“.

In seiner Amts­zeit seit 2020 falle ihm da über­haupt noch kein Thema ein. Ihr schon, konterte Gaby Hohen­berger (Grüne); die Abhol­zung der Allee entlang der Vete­ri­närstraße oder die Situ­ie­rung des Gewer­be­ge­bietes wären durchaus Themen für eine inter­es­sante Bürger­be­tei­li­gung gewesen.

FW-Spre­cher Stefan Vohburger sagte, man wolle das even­tu­elle Forum „möglichst offen“ halten, um nieder­schwel­ligen Zugang zu errei­chen und den Leuten Spaß bei der Betei­li­gung zu vermit­teln.

Das sah Katz als völlig verfehlt. „Politik ist das Bohren dicker Bretter, ein mühse­liges Geschäft, aber kein Spaß.“ Mit diesem Ansatz werde man viel Enttäu­schung und Frus­tra­tion gene­rieren. Das sei jeden­falls „nix, was irgendwie weiter­hilft“.

Florian Spirkl (SPD) fragte sich, wie die Themen fest­ge­legt würden, die man der Allge­mein­heit vorlegen wolle. Er sehe „Bedenken, dass der Gemein­derat dann eine Bürger­be­tei­li­gung will, wenn keine eigene Mehr­heit im Gemein­derat in Sicht ist“.

Er halte eine umfas­sende Bürger­be­tei­li­gung bei „großen“ Themen für sinn­voll, eine reines online-Forum zum Meinungs­aus­tausch und als Stim­mungs­ba­ro­meter eher nicht.

Peter Bent­hues (CSU) zwei­felte die reprä­sen­ta­tive Kraft eines derar­tigen Systems an. „Demo­kratie lebt von Mehr­heiten“, sagte er, „und das ist so nie zu errei­chen.“ Wenn sich zu einer online-Umfrage zehn Leute äußerten, bildeten sie ein Votum, „aber das ist nicht die Mehr­heit“. Andere Meinungen würden sich beispiels­weise nicht äußern, „weil sie dafür den Gemein­derat gewählt haben“.

Zudem müsse man „die Enttäu­schungs­hal­tung bedenken“, wenn Bürger betei­ligt, aber dann gegen ihre Ansichten entschieden würde.

Einigen konnte sich der Gemein­derat dann ledig­lich auf den ersten Schritt, sich bei Nachbar Unter­schleiß­heim über ein System zu infor­mieren.

Beitrag teilen:

3 Kommentare

  1. Liebe Lese­rinnen und Leser,

    da haben die Freien Wähler den Damen und Herren des Gemein­de­rates aber ein Ei gelegt. Die Einrich­tung eines Bürger­be­tei­li­gungs­system solle geprüft werden. Die Ober­schleiß­heimer Bürge­rinnen und Bürgern sollen so insti­tu­tio­na­li­siert ihre Meinungen und Ideen einbringen können.

    Und damit das nicht reicht, verweisen die Freien Wähler noch auf den großen Bruder Unter­schleiß­heim als Vorbild. Die haben nämlich mit der Inter­net­platt­form https://consul.unterschleissheim.de/ schon ein Bürger­be­tei­li­gungs­system gestartet. Gerade konnten wir letztes Jahr noch mit aller Müh´ die Verwal­tungs­ge­mein­schaft mit Unter­schleiß­heim verhin­dern. Und jetzt wird uns schon wieder unter die Nase gerieben, dass da drüben in der Verwal­tung ja so vieles toll, wenn nicht sogar besser sei.

    Und was macht der Gemein­derat? Der Bürger­meister hat alle Mühe, über­haupt ein für Bürger­be­tei­li­gung geeig­netes Thema zu finden. Casimir Katz (FDP) sieht neben (virtu­ellen?) flie­genden Eiern die Gefahr der Frus­tra­tion bei den Bürge­rinnen und Bürgern, wenn geweckte Erwar­tungen nicht erfüllt würden. Peter Bent­hues (CSU) verweist darauf, dass solche Betei­li­gungen keines­falls reprä­sen­tativ seien. Florian Spirkl (SPD) kontert, dass ein solches System inner­halb des Gemein­de­rates als Druck­mittel miss­braucht werden könne. Dass Gaby Hohen­berger (Grüne) mit Gewer­be­ge­biet und Baum­fäl­lungen gerade nur ihre eigenen Leib- und Magen­themen für ein Bürger­be­tei­li­gungs­system empfiehlt, dürfte die Vorfreude der weiteren Mitglieder des hohen Hauses nicht gerade geför­dert haben. Die ÖDP scheint in dieser Sache keine Meinung zu haben.

    Ja, es entsteht der Eindruck, das Thema sei erfolg­reich zerredet worden. Aber die Damen und Herren des Gemein­de­rates — natür­lich mit Ausnahme der Freien Wähler — als “Auto­kraten” und “Igno­ranten” zu bezeichnen, das, lieber Herr Stadel­maier, halte ich für unan­ständig. Immerhin ist das Thema — so der Bürger­meister — einstimmig zur weiteren Behand­lung empfohlen worden.

    Aber nun zurück zum Bürger­be­tei­li­gungs­system: Ich habe mir das Unter­schleiß­heimer Consul ange­sehen und konnte auf den ersten Blick keinen Unter­schleiß­heimer Stadtrat finden, den es zum Früh­stück verspeist hätte. Auch habe ich in der Lokal­presse noch keine Berichte über ein kommu­nal­po­li­ti­ker­fres­sendes Bürger­be­tei­li­gungs­system in Unter­schleiß­heim wahr­ge­nommen.

    Was ich aber wahr­ge­nommen habe, ist, dass es der Kommu­nal­po­litik wert­vollen Input geben kann: Das erste Thema ging um “Bürger­be­tei­li­gung” selbst und gab den Bürge­rinnen und Bürgern die Gele­gen­heit, die von ihnen verwen­deten Kanäle für Infor­ma­tionen zur Kommu­nal­po­litik zu nennen und zu bewerten.

    Beim zweiten Thema “Mehr­ge­ne­ra­tio­nen­wohnen Lohhof Süd” konnten die Bürge­rinnen und Bürger nicht nur abstimmen, sondern bei vorge­ge­benen Themen eigene Ideen erstellen. Ich sehe also weniger die Chance, durch Abstim­mungen Meinungen der Bürge­rinnen und Bürger einzu­holen, als dass zusätz­liche Ideen in Debatten einge­bracht werden.

    Ein auch noch so enga­gierter Gemein­derat kann weder alle Aspekte eines Themas berück­sich­tigen noch Volkes Meinung immer richtig einschätzen. Casimir Katz hat in seinem lesens­werten Beitrag die bestehenden infor­mellen Möglich­keiten der Bürger­be­tei­li­gung darge­stellt. Ich sehe nicht, warum ein Bürger­be­tei­li­gungs­system nicht eine sinn­volle digi­tale Ergän­zung darstellen kann.

    Mit den besten Grüßen
    Andreas C. Hofmann

    Antworten
  2. Ich bin nun doch ziem­lich entsetzt über den ursprüng­li­chen Bericht mit der viel­sa­genden Über­schrift und die ergän­zende Meinungs­ver­laut­ba­rung. Es gibt eine hohe Kunst der Igno­ranz und es gibt diese hier, von der betei­li­gungs­feind­li­chen Insel Ober­schleiß­heim: aufge­bracht­ab­schlä­gig­ver­nei­nend­ver­wei­gern­dab­leh­nend.

    Ich habe mir sehr viel Mühe gegeben, der Gemeinde das Thema Bürger­be­tei­li­gung über­haupt erst einmal zur Kenntnis zu bringen. Dem Bürger­meister habe ich seit weit über einem Jahr konkrete Beispiele aus unseren Nach­bar­ge­meinden aufge­zeigt, von Namens­ge­bungen bis hin zum Einbringen von Ideen bei Neubau­ge­bieten.

    Dem Rat habe ich bei der Sitzung am 23. November 2021 karto­nierte Broschüren der Baye­ri­schen Staats­re­gie­rung über­reicht, voller Beispiele aktu­eller erfolg­rei­cher Ergeb­nisse aus genannten Kommunen; für jeden Rat eine. Samt aufge­zeigter Orga­ni­sa­tion solcher Betei­li­gungen. Und nun? Unwille, Schlecht­reden, ja Empö­rung! Aver­sionen kleiner Auto­kraten, die Plätze ihrer Bürger frak­ti­ons­weise benennen. Und solchen Igno­ranten wollen wir die Zügel über­lassen? Gott bewahre.

    Jeden­falls herz­li­chen Dank den FW für den Vorstoß. Die Diskus­sion kommt bestimmt in Gang.

    Antworten
  3. Bürger­be­tei­li­gung scheint ein Hype zu sein. Aber wurde sie nicht schon längst beschlossen und sogar umge­setzt?

    Die Agenda 21 betont, dass auch regie­rungs­un­ab­hän­gige Orga­ni­sa­tionen und Einrich­tungen an poli­ti­schen Entschei­dungen zu betei­ligen sind. Auch hier im Ort gibt es immer noch vier Agenda-Gruppen, die in unter­schied­li­cher Inten­sität arbeiten und in die poli­ti­schen Entschei­dungen auch unter­schied­lich einge­bunden sind. Bei der Zukunfts­kon­fe­renz, dem Verkehrs­ent­wick­lungs­plan wurden die Bürger intensiv einge­bunden. Viel­leicht erin­nert sich noch jemand an das Jugend­par­la­ment vor ca. 25 Jahren.

    Wir leben in einer reprä­sen­ta­tiven Demo­kratie. Im Gegen­satz zu klein­räu­migen Voll­ver­samm­lungen bei den alten Germanen oder in den Schweizer Ur-Kantonen werden Entschei­dungen durch gewählte Vertreter getroffen. Diese gewählten Vertreter sind nicht ihren Wählern, sondern der gesamten Bevöl­ke­rung verant­wort­lich.

    Das ist untrennbar damit verbunden, dass die Volks­ver­treter ansprechbar sein müssen. Und auch hier gilt das Grund­prinzip, dass man auf Kunden bzw. Bürger hören muss, aber nicht genau das tun, was sie wollen, sondern alle Inter­essen gegen­ein­ander abwägen muss. Die letzten Entschei­dungen trifft das gewählte Gremium.

    Das Instru­ment des Bürger- und Volks­ent­scheids kommt daher ergän­zend hinzu, hat aber nicht nur recht­liche Beschrän­kungen, sondern auch den Nach­teil, dass die einmal formu­lierte Frage auch mit neueren Erkennt­nissen nicht mehr verän­dert werden kann. Die einzige Korrek­tur­mög­lich­keit ist dann ein Gegen­ent­wurf des zustän­digen Gremiums.

    Was dieser letzten Form der Bürger­be­tei­li­gung also fehlt, ist der Dialog. Und ein Dialog, in dem nur unver­än­der­liche Posi­tionen ausge­tauscht werden, oder gar einseitig Eier oder Tomaten fliegen, ist in Wirk­lich­keit keiner. Ein echter Dialog muss Meinungen und Erkennt­nisse austau­schen. Fakten erleich­tern diesen Prozess deut­lich. Reine Anre­gungen neigen dazu, nicht verstanden und dann igno­riert zu werden.

    Sehr wichtig ist dabei, dass ein gefun­dener Consens auch fest­ge­halten wird und man darauf aufbaut. Wenn eine Entschei­dung mal demo­kra­tisch getroffen wurde, sollte sich der weitere Dialog auf das „wie“ und nicht auf das „ob“ konzen­trieren. Das wurde im heutigen Hearing im Mobi­li­täts­aus­schuss des Bayri­schen Land­tags noch mal klar formu­liert.

    Jede Baumaß­nahme hat verschie­dene Planungs­stufen, die sich auch in den Leis­tungs­phasen der HOAI wider­spie­geln. Aus einer Idee folgen: Grund­la­gen­er­mitt­lung, Vorpla­nung, Entwurfs­pla­nung, Geneh­mi­gungs­pla­nung, Ausfüh­rungs­pla­nung. Eine Bürger­be­tei­li­gung stellt sehr früh Fragen, die eigent­lich erst später behan­delt werden. Man braucht daher einen gewissen Planungs­vor­sprung, der aber fort­lau­fend ange­passt werden muss.

    Wenn das nicht passiert, landet man ganz schnell in der Situa­tion, dass das finale Ergebnis nicht mehr den Inten­tionen der Idee entspricht. Dabei ist leider auch ein entspre­chend langer Zeit­raum der Betei­li­gung und des Abwä­gens erfor­der­lich, bei dem die Betei­ligten dabei sein sollten.

    Es ist also komplex und man sollte wissen, wo man hin will, bevor man losrennt.

    Antworten

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert