Kommentar: Das Fünf-Millionen-Euro-Debakel

Es gab mal, noch zu Zeiten von Bürger­meister Schmid, einen legen­dären Ausfall an Gewer­be­steuer, vermit­telt ausge­rechnet in der Weih­nachts­sit­zung des Gemein­de­rats, weswegen die damals obli­gate Braten­sülze zur Weih­nachts­feier ganz beson­ders trist schmeckte.

Dann gab es das legen­däre Drama, als inmitten einer Millionen teuren Groß-Sanie­rung die Sport­halle an der Jahn­straße abbrannte und das ganze Erneue­rungs­werk vernichtet war.

In einer ähnli­chen Dimen­sion des Schock-Effekts liegt nun der Verlust von fünf Millionen Euro Erspartem in einer Banken-Insol­venz. (Wobei die unge­heu­er­liche Tatsache schon seit annä­hernd fünf Wochen im Rathaus bekannt war, Bürger­meister Markus Böck die eigent­li­chen Eigen­tümer des verlo­renen Geldes aber erst jetzt zu infor­mieren beliebte: die Ober­schleiß­heimer Bürger und Steu­er­zahler. Soviel zu Trans­pa­renz und Bürger­nähe.)

Nach erster Schock­starre beginnt nun als obli­gater Reflex die partei­po­li­ti­sche gegen­sei­tige Schuld­zu­wei­sung. Der FW-Bürger­meister war’s, der CSU-Bürger­meister war’s auch, und im Rech­nungs­prü­fungs­aus­schuss hätte es doch eigent­lich der SPD auffallen müssen… Ist viel­leicht auch die ÖDP schuld, weil sie nicht im Gemein­derat saß, als es drauf ankam?

Trotz inten­siver Suche findet sich weder im Partei­pro­gramm der CSU noch in den Wahl­grund­sätzen der FW die Absicht, möglichst viel Fest­geld möglichst leicht­sinnig zu verjuxen. Also sollte man viel­leicht die Fixie­rung auf Parteien bei der Forschung nach Ursa­chen und Verant­wor­tung mal außen vor lassen.

In Summe schaut hier niemand im Rathaus so ganz gut aus, weder der dama­lige Bürger­meister noch der heutige, nicht der Gemein­derat — und am wenigsten der Gemein­de­käm­merer nach 2018…

Wer hätte 2019 anders gehan­delt?

Es sollte nicht debat­tiert zu werden brau­chen, dass für die erste Anlage im November 2019 und damit für die darauf aufbau­ende Stra­tegie der dama­lige Bürger­meister Chris­tian Kuch­l­bauer die Verant­wor­tung trägt. Die poli­ti­sche Verant­wor­tung qua Amt sowieso, aber nach vorlie­genden Infos auch konkret für eine persön­liche Entschei­dung.

Nur ist es wohl­feil, diese dama­lige Entschei­dung heute zu kriti­sieren, nachdem man weiß, wie’s ausge­gangen ist. Jeder, der mal in den Luxus kam, selbst Fest­geld anlegen zu können, hat schon gelesen, dass eine poten­ti­elle Insol­venz des Anlage-Part­ners immer als Risiko im Klein­ge­druckten steht — nur, wie reali­tätsnah ist das in 99 Prozent der Fälle?

Eine Bürger­ab­stim­mung im November 2019, ob das Geld der Gemeinde so ange­legt werden soll, dass es Strafe kostet und die Gemeinde ganz real jähr­lich Geld verliert, oder ob es mit (beschei­denem) Gewinn bei einem deut­schen Bank­haus ange­legt werden soll — wie wäre die wohl ausge­gangen? Was hätten alle, die es heute ganz genau wissen, damals zu der Frage gesagt? Alle hätten ganz anders entschieden als Kuch­l­bauer seiner­zeit?

Wo beginnt die Plicht des Gemein­de­rats — und wo endet sie?

Für den Außen­ste­henden verblüf­fend ist es, wie ahnungslos der Gemein­derat war. Wenn der Bürger­meister solche Entschei­dungen nicht dem Gemein­derat vorlegt oder auch nur berichtet, ist das die eine bedenk­liche Seite — aber wenn es den Gemein­derat offenbar auch nicht inter­es­siert, die andere.

Als mildernder Umstand gilt hier immer, dass alle 24 Gemein­de­räte ehren­amt­lich in dem Gremium sitzen und es schlicht nicht ihr Job ist, sich um alles kümmern zu können. (Jeden­falls aber sollte ein Gemein­derat nicht im April 2021 rügen, wie falsch eine Konzen­tra­tion der Anlagen auf zwei Banken war, wenn man das im Juni 2020 in den eigenen Unter­lagen hätte nach­lesen können…)

Wenn man aber von einem Gemein­derat nicht zwangs­weise verlangen kann, die Anla­gen­stra­tegie des Rathauses im Detail zu begleiten, und von einem Bürger­meister auch nicht erwarten muss, dass er täglich die Kurz­nach­richten in der Börsen­zei­tung analy­siert — bei einer haupt­amt­li­chen Gemein­de­käm­merei sollte man schon etwas in der Rich­tung voraus­setzen können.

Auch wenn es glas­klar ist, dass Kuch­l­bauer als Chef des Rathauses die letzt­gül­tige Verant­wor­tung für die Anlagen bis Mai 2020 trägt und Böck für die seither: Ein Chef muss sich halt auch auf seine Zuar­beiter verlassen können, gerade in so spezi­fi­schen Themen wie den unter­schied­li­chen Ratings verschie­dener Insti­tute und deren mögliche Motive…

Schlecht entschieden — oder schlecht beraten?

Die für die Ursa­chen­for­schung einzig rele­vante Frage ist daher doch wohl die, ob die beiden Bürger­meister, jeder für sich, gegen die Empfeh­lungen ihres haus­ei­genen Sach­ge­biets gehan­delt haben; oder ob sie Empfeh­lungen folgten, die mutwillig oder fahr­lässig falsch waren; oder ob sie einfach im eigenen Haus schlecht beraten waren.

In einer idealen Welt hätte Kuch­l­bauer das Null­ri­siko gewählt und Nega­tiv­zinsen bezahlt; in einer idealen Welt hätte Böck nach Amts­über­nahme die Stra­tegie seines Vorgän­gers sofort gestoppt; in einer idealen Welt hätte der Gemein­derat die Anlagen stets verfolgt und sofort einge­griffen, als es riskant zu werden drohte.

Ob man hier auf einen oder alle Steine werfen mag, ist Geschmacks­sache; ganz unschuldig ist in dem Debakel keiner — aber so richtig schuld?

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1 Kommentar

  1. Klar ist man immer schlauer, wenn man vom Rathaus kommt. Aber man darf auch die Erfah­rung nicht vergessen, dass höhere Zinsen in der Regel auch höhere Risiken bedeuten. Die Greensill-Bank exisi­tiert unter diesem Namen erst seit 2014: allein deshalb hätten das Institut und seine — mitt­ler­weile eben­falls insol­vente — Mutter­ge­sell­schaft eine nähere Analyse verdient.

    Eine solche Analyse — die ja auch ein externer Experte erstellen kann — hätte bereits vor Abschluss der ersten Anlage mit nicht allzu großem Recher­che­auf­wand ein erhöhtes Risi­ko­po­ten­tial ermit­telt:

    1. 2014 erwarb die britisch-austra­li­sche Finanz­gruppe Greensill eine kleine nord­deut­sche Bank und verpasste ihr einen neuen Namen bzw. neues Geschäfts­kon­zept. Greensill selbst ist keine Bank und wollte mit diesem Erwerb offen­kundig nicht einen neuen Markt erschließen, sondern eigene stra­te­gi­sche Ziele reali­sieren.

    2. Die Bank war ein wich­tiger Eckpfeiler in der Refi­nan­zie­rungs­stra­tegie von Greensill, die Gruppe hat sich vor allem mit der Finan­zie­rung von Liefer­ketten und anderen opera­tiven Prozessen einen Namen gemacht. Das heißt aber auch: Wenn es der Mutter­ge­sell­schaft schlecht geht, geht es auch der Bank schlecht.

    3. Weil Gree­ensill über­wie­gend oder fast ausschließ­lich in inter­na­tio­nalen Märkten unter­wegs ist, flossen auch die ange­legten Bank­gelder in inter­na­tio­nale Märkte. Das erhöht das Risiko weiter.
    Wegen der Zinsen wäre eine über­schau­bare Geld­an­lage — sagen wir mal 10 Prozent — bei einem solchen Institut vertretbar gewesen. Mit Sicher­heit aber nicht 70 Prozent, wie in Ober­schleiß­heim geschehen.

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