Eine Veröffentlichung von Gurpari Kaur
Gurpari Kaur besucht die 12. Klasse das Josef-Hofmiller-Gymnasiums in Freising. Sie war vorher in Oberschleißheim an der Grundschule und bis zur 10. Klasse am COG in Unterschleißheim. Für ihre Bewerbung ist es notwendig, zwei veröffentlichte Artikel vorzuweisen. Wir von schleissheimer-zeitung.de unterstützen sie dabei. AW
Die vier Säulen der Verkehrswende – warum Mobilität neu gedacht werden muss
Wie eine echte Verkehrswende unsere Städte, das Klima und die Gesellschaft nachhaltig verändern könnte …
Von Gurpari Kaur
Die Lockerung der Schuldenbremse wurde am 18. März 2025 vom Bundestag beschlossen. Die notwendige Zustimmung des Bundesrates erfolgte am 21. März 2025. Damit trat die Reform der Schuldenbremse offiziell in Kraft und stellt nun eine der weitreichendsten Anpassungen der deutschen Finanzverfassung seit Einführung der Schuldenbremse im Jahr 2009 dar. Hierbei wurde ein 500 Milliarden Sondervermögen für Infrastruktur geschaffen und nun stellt sich die Frage, wie eine sinnvolle und zukunftsorientierte Investition aussieht. Reicht es bestehende Strukturen zu reparieren oder muss neu gedacht werden?
Herr L., 52, dreht seit zwanzig Minuten seine Runden durch die Innenstadt. Der Parkplatz bleibt unauffindbar, der Arzttermin ist inzwischen verpasst. Frau S., 34, steht auf dem Bahnsteig. Der Regionalzug nach Berlin fällt erneut aus. Es handelt sich um den dritten Ausfall in einer Woche. Ihr Vorstellungsgespräch war für 9.30 Uhr angesetzt, die rechtzeitige Ankunft ist nun ausgeschlossen. Zwei alltägliche Geschichten, zwei gescheiterte Wege. Beide zeigen das Versagen unserer Infrastruktur und führen uns die Notwendigkeit einer Neuausrichtung unserer Infrastruktur vor Augen. Das Ziel ist dabei klar und deutlich: nachhaltige Mobilität.
Um unser Mobilitätskonzept erfolgreich zu verändern, müssen die Fehler des bestehenden Systems erkannt werden, denn die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Rund 96 % der Treibhausgasemissionen im deutschen Verkehrssektor entstehen auf der Straße — davon entfallen 61 % auf Pkw und 36 % auf Lkw. Der Luftverkehr bleibt dabei der unsichtbare Riese: Seine 31 Millionen Tonnen CO₂ jährlich erscheinen nicht in der nationalen Klimabilanz.
Zwar sind Fahrzeuge heute effizienter als je zuvor, doch frisst das Verkehrswachstum diese Fortschritte schlichtweg auf. Somit ist es keine Überraschung, dass der Verkehrssektor 2024 erneut für rund 143,1 Millionen Tonnen CO₂ verantwortlich war — und als einziger Sektor das gesetzlich festgelegte Klimaziel um rund 12 Prozent überschritt.
Die Ursachen des Verkehrswachstums sind zahlreich und doch alle menschengemacht. Während Autos in den letzten Jahren für immer größere Teile der Gesellschaft erschwinglich wurden, sind SUVs zum Statussymbol aufgestiegen und der Individualverkehr rückte zunehmend in den Fokus. Dies wiederum führte zu neuen Herausforderungen, wie zersiedelte Städte, Investitionsschieflagen zugunsten des Straßen- und Autobahnbaus sowie eine Überbelastung des Straßennetzes.
Heute verbringt man mehr Zeit damit, einen Parkplatz in der Innenstadt zu suchen, als beim eigentlichen Arzttermin. Gefördert wurde diese Entwicklung durch das Fehlen von komfortablen und zuverlässigen Alternativen zum Auto, was sich anhand von Verspätungen und Ausfällen der öffentlichen Verkehrsmittel zeigt.
Die Notwendigkeit einer Mobilitätswende zeigt sich nicht nur in den zunehmenden Naturkatastrophen im globalen Süden, sondern auch in den sich häufenden Extremwettereignissen in Deutschland. Laut dem Deutschen Wetterdienst haben sich Extremwettereignisse in Deutschland seit den 1970ern mehr als verdreifacht. Die Ahrtal-Flut von 2021, mit Schäden von über 30 Milliarden Euro, ist dabei nur ein Hinweis auf einen sich verschärfenden Trend.
Die Ursachen sind klar und nun gilt es, die Fehler von gestern nicht zu wiederholen, sondern heute einen Plan zu entwickeln, um Schritt-für-Schritt unsere Ziele für eine zukunftsorientierte Mobilität in die Tat umzusetzen. Das Prinzip einer nachhaltigen Mobilität kann dabei mit einem antiken Gebäude verglichen werden — eine Säule in allen vier Ecken sorgt für die benötigte Stabilität und schützt das Haus und damit unser Mobilitätskonstrukt vor dem Zusammenbruch.
Die erste Säule betrifft die Gestaltung der Städte. Städteplaner, heutzutage beeinflusst von den steigenden Zahlen der PKWs, setzen ihren Fokus auf die autogerechte Planung mit Parkplätzen, so zahlreich wie möglich oder mit Straßen mit so vielen Bahnen wie möglich. Stattdessen schlagen Städte wie Paris einen anderen Kurs ein, und zwar nach dem Prinzip der Verkehrsvermeidung, denn weniger zurückgelegte Distanzen führen unmittelbar zu geringeren Emissionen.
Die Pandemie hat bereits gezeigt, wie effektiv Homeoffice und Videokonferenzen als klimafreundliche Alternativen zum täglichen Pendeln ins Büro wirken können. Allgemein bieten multifunktionale und kompakte Städte die Möglichkeit, unsere Alltagswege zu verkürzen und somit unseren ökologischen Fußabdruck zu verringern.
Ein Beispiel dafür ist das Konzept der „15-Minuten-Stadt“, in dem Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Freizeitangebote aufeinander abgestimmt werden und innerhalb einer Viertelstunde zu Fuß erreichbar bleiben. Paris hat uns bereits bewiesen, dass dieses Konzept keine Utopie sein muss.
Während nachhaltiger Städtebau die Notwendigkeit von Autos in urbanen Gebieten eindämmt, bleibt das Problem in ländlichen Gebieten bestehen. Deswegen kann die sogenannte „Push-and-Pull“-Strategie als ein möglicher Hebel für Veränderung eingesetzt werden. Pull-Faktoren wie günstige grüne Treibstoffe, sichere Radinfrastruktur oder Carsharing-Angebote sollen Anreize schaffen und den Umstieg erleichtern. Gleichzeitig sind Push-Faktoren, wie beispielsweise eine konsequente CO₂-Steuer, notwendig, um die Rentabilität typischer Verbrennungsmotoren zu verringern.
Nur die effektive Einsetzung von Push- und Pull-Faktoren sorgt für den nötigen Druck und zugleich die Attraktivität für Alternativen. Diese Methode bleibt wirkungslos, wenn sich nicht genug Alternativen auf dem Markt befinden. Unverzichtbar sind somit Steuersenkungen, Forschungszuschüsse und der Ausbau der Infrastruktur für nachhaltige Treibstoffe — insbesondere im ländlichen Raum. Nur wenn diese Säule fest etabliert wird, ist der PKW keine Gefahr fürs Klima, sondern bleibt als Teil der nachhaltigen Verkehrsfamilie langfristig bestehen.
Prof. Dr. Andreas Knie, Mobilitätsforscher am Wissenschaftszentrum Berlin, betont in zahlreichen Interviews, dass Mobilität nicht nur klimafreundlich, sondern auch sozial gestaltet sein muss — erst wenn alle Zugang zu Alternativen haben, wird die Verkehrswende tragfähig. Die Alternative, die bereits heute im Markt vorhanden ist und für die meisten von uns ein Teil des Alltags bildet, ist der ÖPNV. Heute zeigen sich die Folgen fehlender Investitionen in die Sanierung und den Ausbau des Schienennetzes in Form regelmäßiger Verspätungen und Ausfälle. Die Deutsche Bahn ist daher zum Sinnbild wachsender gesellschaftlicher Enttäuschung über die öffentliche Infrastruktur geworden.
Trotz der aktuellen Herausforderungen bleibt der öffentliche Nahverkehr ein zentrales Element im Leben vieler Menschen, das ihr Mobilitätsverhalten nachhaltig beeinflusst, unabhängig von ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage. Das Neun-Euro-Ticket hat bereits gezeigt, dass sich das Mobilitätsverhalten ändern lässt, wenn leicht zugängliche Alternativen zum Auto geschaffen werden.
Solange also die Bequemlichkeit der Gesellschaft nicht eingeschränkt wird, agiert der Mensch nicht als Blockade, sondern kann durch Nachfragesteigerung für grüne, erschwingliche Alternativen und das Nutzen von öffentlichen Verkehrsmitteln als Katalysator der Mobilitätswende wirken. Wenn also der ÖPNV das Rückgrat unseres zukunftsorientierten Verkehrssystems bilden soll, führt kein Weg an einer weitreichenden Investitionsoffensive und dem Ausbau der Deutschen Bahn, der dritten Säule unseres ökologisch tragfähigen Mobilitätssystems, vorbei.
Die vierte Säule wird von Institutionen wie dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr oder der Young Leaders Akademie getragen. Diese sorgen durch Aufklärungsarbeit bei der jungen Generationen für ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit und eine Begeisterung für das Mitwirken an der Transportinfrastruktur der Zukunft.
Bei der Young Leaders Akademie wird sozial engagierten Jugendlichen eine Plattform zur Vernetzung und Orientierung geboten. Ziel ist es, sie für zukunftsrelevante Herausforderungen zu sensibilisieren. Bei der diesjährigen 84. Akademie, unterstützt vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr, stand die Mobilitätswende im Fokus: Welche Verantwortung trägt dabei die Gesellschaft? Wie lassen sich Innovation und soziale Teilhabe verbinden?
Um unsere Mobilitätsstruktur zukunftsorientiert anzupassen, müssen zudem moderne Mobilitätslösungen betrachtet werden. Digitale Innovationen wie Echtzeit-Verkehrssteuerung, autonome Fahrzeuge oder KI-gestützte Mobilitätsplattformen sollen im Sinne der vierten Säule frühzeitig vermittelt und Teil des gesellschaftlichen Diskurses werden.
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