Betreff: Re: AW: Europa, ja aber

Wahlen zum Euro­päi­schen Parla­ment haben für mich einen kleinen emotio­nalen Mehr­wert, weil eine solche Wahl (ich sage nicht, in welchem Jahr!) dereinst die erste Abstim­mung war, bei der ich voll­jährig genug war, um Wählen gehen zu dürfen. Aller­dings ist die Wahl zum Euro­päi­schen Parla­ment seit einigen Jahren auch die einzige poli­ti­sche Abstim­mung, an der ich mich nicht mehr betei­lige. Auch 2019 werde ich am 26. Mai nicht Wählen gehen.

Es ist unlauter von den poli­ti­schen Parteien und den veröf­fent­lichten Kommen­ta­toren, diese Wahl zu einer Abstim­mung über Europa zu erklären. Meiner Erin­ne­rung nach hat in Deutsch­land noch keine Volks­ab­stim­mung “über Europa” statt­ge­funden — auch am 26. Mai nicht.

Ich halte mich für einen absolut über­zeugten Euro­päer und würde, hypo­the­tisch vor die Entschei­dung gestellt, jeder­zeit aufgeben, Deut­scher zu sein, aber Euro­päer bleiben. Aller­dings ist eine Einstel­lung “für Europa” noch nicht auto­ma­tisch ein lücken­loses Bekenntnis zu allen Schwä­chen in Struktur, Verwal­tung und poli­ti­scher Reprä­sen­tanz der Euro­päi­schen Union.

In ihrem zuletzt erstaun­lich stark wieder entdeckten Bekenntnis zu Europa spre­chen die wahl­kämp­fenden Parteien aufge­setzt reumütig über die Schwä­chen der EU-Struktur — aber nichts davon wurde im Euro­päi­schen Parla­ment auch ange­packt, ebenso wenig wie im natio­nalen Regie­rungs­han­deln der vergan­genen 20 Jahre. Das Euro­päi­sche Parla­ment wird Ende Mai mit großem Medi­en­echo instal­liert — und dann wieder fünf Jahre völlig in der Versen­kung verschwinden, ohne Kompe­tenzen, ohne Wirkung, ohne öffent­liche Ausstrah­lung.

Voll­ends grotesk wird es, wenn für diese vermeint­liche Abstim­mung pro Europa, die der 26. Mai sein soll, dann noch verschie­dene Parteien um dieses “Ja” konkur­rieren. Es geht am 26. Mai um ein Bekenntnis zu Europa, höre ich — aber das muss schwarz sein. Oder rot oder grün oder blau. Ist ein Ja zu Europa, bei den Grünen ange­kreuzt, ein anderes Ja als bei der CSU?

Nochmal: Es geht nicht um Europa am 26. Mai, es geht um die Wahl des Euro­päi­schen Parla­ments. Gibt es hier in den letzten Jahren irgend­eine für mein poli­ti­sches Inter­esse wahr­nehm­bare Debatte, irgend­eine für mein Leben rele­vante Entschei­dung, bei der mir erkennbar geworden wäre, wie sich die SPD hier anders posi­tio­niert hat als die FDP? Wie die Linken argu­men­tiert haben, mit wem gemeinsam im mannig­fal­tigen euro­päi­schen Partei­en­spek­trum die SPD gestimmt hat? Warum soll ich Grüne wählen oder warum CSU?

Am Abend des 26. Mai werden ausschließ­lich sport­liche Instinkte des poli­ti­schen Parteien bedient und die indi­vi­du­ellen Lebens­pla­nungen der nomi­nierten Kandi­daten entschieden. Andere Zwecke der Wahl­ent­schei­dung kann ich nicht erkennen. Und für beide sehe ich mich nicht zuständig.

 

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1 Kommentar

  1. Sehr geehrter Herr Bach­huber,
    vieles in Ihrem Artikel sehe ich sehr ähnlich. Vor allem die Kritik an dem viel zu geringen Einfluß des Euro­pa­par­la­ments. Europa ist viel zu sehr von den natio­nalen Regie­rungen und der von ihnen bestimmten Kommis­sion bestimmt.
    Aber Ihren Schluss, an der Wahl zum Euro­päi­schen Parla­ment nicht teil­zu­nehmen, kann ich über­haupt nicht nach­voll­ziehen! Es kommt doch darauf an, das EU-Parla­ment gegen­über den natio­nalen Regie­rungen und der Komis­sion zu stärken. Und dazu würde die Wahl, natür­lich demo­kra­ti­scher Parteien, helfen. Auch gegen­über den zu befürch­tenden EU-Parla­men­ta­riern, die dort nur hinwollen, um die eini­ger­maßen funk­tio­nie­renden Struk­turen Europas abzu­schaffen.
    Mir scheint, Sie sehen die Parteien als jeweils homo­gene Blöcke. Aber so ist es doch nicht. Ein stär­keres Gewicht der Euro­pa­ab­ge­ord­neten inner­halb einer Partei würde auch die Bedeu­tung von Euro­pa­po­litik für diese Partei verstärken. Und demo­kra­ti­sche EU-Abge­ord­nete können daran arbeiten, die Wirk­sam­keit des EU-Parla­ments zu verstärken. Und das sollten wir Euro­päer wollen!
    Mit bestem Gruß
    Peter Lemmen

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